Jäger der Schatten
Geburtstagsparty mit Victoria Taylor passiert war.
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Dunkler Engel
P iper Crandall kam aus einer der solidesten Familien der New Yorker Gemeinschaft und ihre unsterbliche Vorgeschichte war makellos. Die Crandalls waren treue Anhänger der van Alens. Pipers Großeltern waren zwei der engsten Verbündeten von Cordelia und Lawrence van Alen im Ältestenrat gewesen. Als Lawrence zum Regis ernannt worden war, war auch ihr Vermögen angewachsen.
Unter dem Deckmantel der Freundschaft hatte Demin Pipers Unterbewusstsein durchsucht, ohne dass sie irgendeinen Verdacht geschöpft hatte. Bis jetzt gab es jedoch keinen Hinweis darauf, dass Piper etwas anderes war als ein normales, vielseitig beschäftigtes Blue Blood.
Demin hoffte, noch tiefer in Pipers komplexe Erinnerungen vordringen zu können. Es gab zahlreiche Wege, die Wahrheit zu verschleiern, auch vor sich selbst. Doch früher oder später offenbarte sich auch unter der oberflächlichen Unschuld das dunkle Herz der Schuld. Aber wenn Piper tatsächlich für Victorias Tod verantwortlich sein sollte, brauchte Demin noch ein Motiv. Das war eine verzwickte Sach e – selbst wenn Piper Victoria insgeheim gehasst hatte, musste es noch einen Auslöser gegeben haben, sie zu töten. Etwas, was das Pendel von heimlicher Feindseligkeit zu offener Gewalttätigkeit hatte umschwenken lassen. Victorias Tod war geplant und grausam gewesen, und wenn Piper ihre Hand im Spiel gehabt hatte, musste es einen guten Grund dafür gegeben haben. Demin hatte ein paar Theorien, die sich hauptsächlich darum drehten, dass hinter mädchenhafter Zuneigung oft erbitterte Rivalität und Feindseligkeit steckten. Sie hatte Mädchen gesehen, die ihre Freundinnen aus nichtigen Anlässen getötet hatten, doch bis jetzt gab es nichts, was darauf hindeutete, dass Piper irgendetwas anderes als Zuneigung für Victoria empfunden hatte.
Ein weiteres Rätsel war das Video. Wieso sollte Piper oder jemand anderes aus Victorias Freundeskreis die Vampire öffentlich bloßstellen wollen?
An diesem Nachmittag folgte sie Piper in ihren gemeinsamen Kurs. So wie Demin es verstanden hatte, war Die Seele des Selbst nur eine Ausrede für überprivilegierte Jugendliche, Bücher zu lesen, sich alte Filme anzusehen und über philosophische Ansichten zu referieren, von denen sie keine Ahnung hatten, und trotzdem problemlos an eine Eins zu kommen. Der Kurs hatte keine Abschlussprüfung, es wurden nur zwei Klassenarbeiten geschrieben. Auch wenn Demin das alles ziemlich übertrieben und gekünstelt fand, war es im Vergleich zu ihrem früheren Auftrag eine willkommene Abwechslung. Ein paar Monate zuvor hatte sie während einer verdeckten Ermittlung als Fabrikarbeiterin in einem Ausbeuterbetrieb gearbeitet, um Beweise dafür zu sammeln, dass die Blue-Blood-Eigentümer die Gedankenmanipulation nutzten, um ihre Red-Blood-Arbeiter bis zur Erschöpfung anzutreiben.
Der Lehrer, ein langhaariger Ex-Hippie, begann mit dem Unterricht. »Wie hat euch denn Das verlorene Paradies von John Milton gefallen?«, fragte er. Gestern hatten sie den Film Im Auftrag des Teufels gesehen. Das Thema des diesjährigen Kurses war die Darstellung des Teufels in der modernen Welt, der Teufel als Produkt der Pop-Kultur.
»Ich fand ihn blöd«, antwortete ein Junge sofort. »Milton macht den Teufel zu einer Figur wie Heathcliff in dem Roman Sturmhöhe und verpasst ihm noch eine Mistgabel. Er stellt das Böse zu verführerisch dar.« Er war ein schlanker, schüchtern wirkender Junge mit dunklen Locken und blauen Augen. Paul Rayburn zählte zu den Stipendiaten der Schule, den Red Bloods, die man aufgrund ihrer Leistungen aufgenommen hatte. Er hatte vermutlich keine Ahnung, dass er von Unsterblichen umgeben war. In Schanghai nannte man diese Menschen Schaf e – und Demin war nicht an Schafen interessiert.
»Ich muss dir widersprechen. Ich sehe Luzifer nicht als Monster. Ich glaube, er wird nur unterschätzt. Ich meine, ohne ihn hätte es keine Story gegeben, oder?«, sagte ein anderer schwarzhaariger Junge. Er hing lässig in seinem Stuhl und hatte einen Stift im Mund. Sein dichtes Haar hatte er aus der Stirn zurückgekämmt und darunter kamen stechende dunkle Augen zum Vorschein. Sein Gesicht wirkte eher fesselnd und markant als hübsch. Ein gemeiner Zug umspielte seine Lippen und Demin hatte den bestimmten Eindruck, dass er es genießen würde, unschuldigen Lebewesen beim Sterben zuzusehen.
Das war Verdächtiger Nummer drei: Bryce Cutting. Nur anhand
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