Jäger des verlorenen Schatzes
ihn.
Er hörte eine Uhr ticken, vernahm ihren zarten Schlag. Belloq seufzte, schlug die Beine übereinander und schaute auf die Armbanduhr.
»Worauf warten wir, Dietrich?« fragte er.
Dietrich senkte unwillkürlich die Stimme.
»Der Führer wird uns empfangen, wann es ihm genehm ist, Belloq. Offenbar glauben Sie, er hätte nichts Besseres zu tun, als mit Ihnen über irgendein Museumsstück zu sprechen.«
»Museumsstück.« Belloq sagte es mit unverhüllter Verachtung und starrte den Deutschen quer durch das Zimmer an. Wie wenig sie wissen, dachte er. Wie wenig sie von der Geschichte verstehen. Sie setzen überall auf das Falsche. Sie bauen ihre Kolossalgebäude und lassen ihre Regimenter im Stechschritt paradieren, aber sie ahnen nichts davon, daß man das Geschichtliche nicht einfach herbeizaubern kann. Es ist schon da, und man kann es nicht fabrizieren, nicht versuchen wollen, es mit grandiosen Gesten hervorzubringen. Die Bundeslade.
Der bloße Gedanke an die Möglichkeit, die Bundeslade zu finden, raubte ihm die Ruhe. Warum mußte er überhaupt mit diesem armseligen Anstreicher reden? Weshalb war er verpflichtet, sich mit dem Kerl zusammenzusetzen, obwohl die Ausgrabungen in Ägypten schon begonnen hatten? Was konnte er von Hitler schon erwarten? Nichts, dachte er. Überhaupt nichts. Einen gespreizten Vortrag, vielleicht. Gegeifere. Geschwätz von der Größe des Reiches. Und daß die Bundeslade, wenn sie wirklich existiert, nach Deutschland gehört.
Was wußten diese Leute überhaupt?
Die Bundeslade gehörte nirgends hin. Wenn sie Geheimnisse enthielt, wenn sie über die Kräfte verfügte, die man ihr zuschrieb, dann wollte er derjenige sein, welcher sie entdeckte - das war keine Sache, die man leichthin dem Verrückten anvertrauen durfte, der jetzt irgendwo in einem Zimmer seines Berghofs hockte und ihn warten ließ.
Er seufzte ungeduldig und setzte sich anders zurecht.
Schließlich stand er auf, trat ans Fenster und schaute auf die Berge hinaus, ohne sie wirklich zu sehen. Er dachte an den Augenblick, in dem er den Kasten öffnen, hineinblicken und die Überreste der Steintafeln sehen würde, die Moses vom Berg Sinai heruntergebracht hatte. Es fiel leicht, sich vorzustellen, wie seine Hand den Deckel hochhob, vielleicht ein paar Worte dazu sprach - bevor der Augenblick der Offenbarung kam.
Der Augenblick, der alles andere überschattete: Es gab nichts, was bedeutsamer gewesen wäre als die Bundeslade.
Als er sich vom Fenster abwandte, beobachtete ihn Dietrich. Der Deutsche bemerkte den sonderbaren Ausdruck in Belloqs Augen, das schwache Lächeln um den Mund, das nach innen gerichtet zu sein schien, so, als amüsiere er sich über einen glänzenden Witz, dessen Pointe nur er verstand, über einen schwerwiegenden, belustigenden Gedanken. Dietrich begriff nun, wie tief sein Mißtrauen reichte - aber das war eine Reichssache, der Führer war es gewesen, der den besten Mann angefordert hatte, der Führer, der Rene Belloq haben wollte.
Dietrich hörte die Uhr die Viertelstunde schlagen. In einem Korridor irgendwo außerhalb des Zimmers hörte er Schritte. Belloq wandte sich erwartungsvoll der Tür zu. Die Schritte verklangen jedoch, und Belloq fluchte auf französisch leise vor sich hin.
»Wie lange sollen wir noch warten?« fragte er.
Dietrich zog nur die Schultern hoch.
»Warten Sie, ich komme selber drauf«, fuhr Belloq fort. »Der Führer lebt nach einer Uhr, zu der wir gewöhnlichen Sterblichen keinen Zugang haben, nicht? Vielleicht glaubt er, die innerste Natur der Zeit als einziger erkannt zu haben?« Belloq winkte resigniert ab und lächelte.
Dietrich bewegte unbehaglich die Schultern, von dem Gedanken erfaßt, daß der Raum abgehört werden mochte, daß Hitler dieses unsinnige Gefasel mithörte.
»Haben Sie vor nichts Ehrfurcht, Belloq?« fragte er.
»Ich könnte Ihnen darauf antworten, Dietrich, nur bezweifle ich, daß Sie begreifen könnten, wovon ich rede.«
Sie verstummten beide, Belloq kehrte ans Fenster zurück. Jeder Augenblick, den ich hier festsitze, ist einer weniger in Ägypten, dachte er. Er wußte, daß die Zeit von Bedeutung war, daß die Nachricht von den Ausgrabungen sich verbreiten würden, daß man das nicht ewig geheimhalten konnte. Er konnte nur hoffen, daß die Sicherheitsvorkehrungen der Deutschen wirksam waren.
Er blickte wieder auf Dietrich und sagte: »Sie haben mir übrigens noch nicht genau erklärt, wie wir an den Stabknauf kommen wollen. Das muß ich
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