Jäger des verlorenen Schatzes
Tochter hatte, dann setzte sich der Groll fest. Indy seufzte. Eine Schwäche, dachte er. Warum hast du damals nicht stark bleiben können? Warum hast du dich hinreißen lassen? Bei einem Mädchen, das noch gar nicht erwachsen war? Aber sie war ihm nicht unerwachsen vorgekommen, sie war eine Kind-Frau gewesen. Ihr Blick und ihr Aussehen hatten mehr gezeigt als ein Mädchen, das heranwuchs. Hör auf damit, vergiß es, ermahnte er sich.
Du mußt dich jetzt mit anderen Dingen beschäftigen. Und Nepal ist nur ein Schritt auf dem Weg nach Ägypten.
Ein weiter Schritt.
Indy spürte, wie das Flugzeug kaum merklich herabsank, dann starker nach vorn kippte, dem Landeplatz entgegenrauschte. Er konnte aus der Schneewüste die schwach funkelnden Lichter einer Stadt auftauchen sehen. Er schloß die Augen und wartete auf den Augenblick, in dem das Fahrwerk den Boden berührte und das Flugzeug die Rollbahn hinunterfegte, bevor es abgebremst wurde. Dann rollte das Flugzeug zu einem Flughafengebäude - es war nicht viel mehr als ein großer Hangar, den man offenbar zu einem Abfertigungsgebäude umgebaut hatte. Er stand auf, räumte seine Papiere und Bücher zusammen, zog die Reisetasche unter dem Sitz heraus und ging durch die Maschine. Den Mann im Regenmantel unmittelbar hinter sich nahm Indiana Jones nicht wahr. Ein Passagier, der in Schanghai zugestiegen war und ihn auf dem letzten Teilstück der Reise ständig beobachtet hatte.
Der Wind, der über das Flugfeld fegte, war beißend kalt und durchschnitt Indys Kleidung. Indy senkte den Kopf und hastete auf den Hangar zu, hielt mit der einen Hand seinen alten Filzhut fest, umklammerte mit der anderen die Leinentasche. Dann war er im Gebäude, das nicht viel wärmer wirkte. Die einzige Wärme schien von den dicht zusammengedrängten Leibern zu kommen, die er sah. Er brachte rasch die Zollformalitäten hinter sich, dann war er umringt von Bettlern, hinkenden Kindern, blinden Kindern, ein paar Männern mit Schüttellähmung, einigen zusammengeschrumpften Menschen, deren Geschlecht nicht erkennbar wurde. Sie klammerten sich an ihn, flehten ihn an, aber da er die Art der Bettler aus anderen Teilen der Welt kannte, wußte er auch, daß es besser war, nichts zu geben. Er zwängte sich hindurch, erstaunt von der Geschäftigkeit, die hier herrschte. Es war ebensosehr Bazar wie Flughafengebäude, voller Verkaufsstände und Tiere, dem Gewimmel eines Marktplatzes. Männer brieten Innereien auf Kohlenpfannen, andere würfelten hingebungsvoll, wieder andere schienen Esel zu versteigern - die Tiere waren in einer Reihe aufgestellt und mit Stricken gefesselt, Haut und Knochen, aus mehr bestanden sie nicht, dazu glanzlose Augen und räudiges Fell. Die Bettler drängten ihm nach.
Er ging schneller, vorbei an den Buden, die Geldwechslern gehörten, Verkäufern von fremdartigen Früchten und Gemüse, vorbei an den Teppich- und Tuchhändlern, an den Schneidern, die Lederbekleidung aus Yak-Häuten anboten, vorbei an den primitiven Imbißstuben und den Ständen, die kalte Getränke feilboten, umzingelt von Gerüchen, dem Gestank brodelnden Fetts, dem Duft von Parfüms, den Gerüchen unbekannter Gewürze. Er hörte, wie jemand im Gedränge seinen Namen rief. Indy blieb stehen und schwang ein wenig die Leinentasche, um die Bettler abzuwehren. Er starrte in die Richtung, wo die Stimme hergekommen war. Er sah das Gesicht von Lin Su, selbst nach so vielen Jahren war es ihm noch vertraut. Er zwängte sich zu dem kleinen Chinesen durch, und sie schüttelten sich eifrig die Hände. Lin Su, dessen faltiges Gesicht zu einem fast völlig zahnlosen Lächeln verzogen war, nahm Indy beim Ellenbogen und führte ihn durch einen Ausgang hinaus auf die Straße - wo ein Sturmwind, scharf und heftig, von den Bergen herabgeheult kam und zwischen den Häusern dahinfegte, als suche er Rache. Sie traten in einen Hauseingang. Der kleine Chinese hielt immer noch Indys Arm fest.
»Ich freue mich, Sie wiederzusehen«, sagte Lin Su in einem Englisch, das zugleich kurios und gemessen klang, das aber auch verriet, daß seine Sprachkenntnisse ein wenig eingerostet waren. »Es sind viele Jahre.«
»Zu viele«, sagte Indy. »Zwölf? Dreizehn?«
»Wie Sie schon sagen, zwölf...« Lin Su machte eine Pause und blickte die Straße hinauf. »Ich habe natürlich Ihr Kabel erhalten.« Seine Stimme wurde leiser, als seine Aufmerksamkeit auf eine Bewegung auf der Straße gerichtet wurde, auf einen Schatten, der an einem Eingang
Weitere Kostenlose Bücher