Jäger des verlorenen Schatzes
Name, wenn Lin Su ihn so aussprach.
Sie tauschten einen Händedruck, dann schloß Indy die Autotür. Er drehte den Schlüssel im Zündschloß herum, hörte den Motor aufheulen, dann rollte das Fahrzeug. Er winkte dem kleinen Chinesen zu, der schon die Straße hinunterlief und über das ganze Gesicht strahlte, als sei er stolz darauf, seinen Wagen einem Amerikaner geliehen zu haben. Indy blickte auf die Karte und hoffte, daß sie genau war, weil er davon überzeugt sein konnte, daß er hier keine Hinweisschilder vorfinden würde.
Er fuhr stundenlang auf den ausgefahrenen Straßen dahin, die Lin Su auf der Karte eingezeichnet hatte. Als es dunkel wurde, schienen die Berge ringsum wie riesige Gespenster näher heranzurücken. Er war froh, daß er in den Pässen oft nicht sehen konnte, wie steil es neben der Straße hinabging. Hier und dort, wo die Straße verschneit war, mußte er ganz langsam fahren und manchmal sogar aussteigen, um sich den Weg freizuschaufeln. Eine trostlose Gegend. Unwirtlich in einem Maße, das jeder Beschreibung spottete. Indy fragte sich, wie das sein mußte, wenn man hier lebte und nichts als ewigen Winter kannte. Das Dach der Welt, so hieß es. Durchaus glaubhaft, aber eben ein schrecklich einsames Dach. Lin Su konnte es offenbar ertragen, aber es war wohl die ideale Lage für sein Geschäft: Ein- und Ausfuhr von Gütern, wo die ganze Konterbande der Welt hindurchgeschleust wurde, ob es gestohlene Kunstwerke, Altertümer, Waffen oder Rauschgifte waren. Die Behörden sahen darüber hinweg, die Beamten hielten die Hände auf.
Indy fuhr gähnend und schläfrig weiter, sehnte sich nach Kaffee, um sich ein wenig aufzupulvern. Meile um Meile lauschte er dem Quietschen und Ächzen der Stoßdämpfer, dem Knarren der Reifen im Schnee. Und ganz plötzlich, bevor er sich auf der Karte vergewissern konnte, erreichte er die Außenbezirke einer Stadt. Der Ort schien keinen Namen zu haben, Schilder fehlten. Er hielt am Straßenrand an und faltete die Karte auseinander.
Er knipste die Deckenbeleuchtung an und kam zu dem Schluß, daß er Patan erreicht haben mußte, weil es auf Lin Sus Karte keine zweite größere Ortschaft gab. Er fuhr langsam durch den weitgedehnten Außenbezirk, vorbei an armseligen Hütten und fensterlosen Lehmbauten. Dann erreichte er das, was nach einer Durchgangsstraße aussah, eine schmale Durchfahrt, mehr eine Gasse mit winzigen Läden und engen Gängen, die sich in unheimlichen Schatten verloren. Er stoppte und schaute sich um. Eine sonderbare Straße - und viel zu still.
Indy kam plötzlich zum Bewußtsein, daß hinter ihm ein anderes Fahrzeug nachkam. Es fuhr mit einem Schlenker an ihm vorbei und wurde schneller. Als es verschwand, wurde ihm klar, daß es das einzige andere Auto war, das er auf dem ganzen Weg gesehen hatte. Was für ein gottverlassenes Loch! dachte er und versuchte sich vorzustellen, daß Abner Ravenwood hier lebte. Wie konnte ein Mensch das nur aushalten?
Jemand kam ihm auf der Straße entgegen. Ein Mann, ein großer breitschultriger Mann in einer Pelzjacke, der wie ein Betrunkener hin- und herschwankte. Indy stieg aus und wartete, bis der Mann mit der Pelzjacke herangekommen war, bevor er ihn ansprach. Der Mann roch nach Schnaps, und das so stark, daß Indy den Kopf wegdrehen mußte.
Der andere trat argwöhnisch zur Seite, als erwarte er, überfallen zu werden. Indy hob die Arme und streckte die Hände aus, die Innenflächen nach oben, um seine Harmlosigkeit zu bezeigen, aber der Mann trat nicht näher heran. Er beobachtete Indy mißtrauisch. Er schien gemischtrassiger Abstammung zu sein, mit Augen, die orientalisch aussahen, und breiten Backenknochen, die an einen Mongolen denken ließen. Versuch es einfach mit Englisch, dachte Indy.
»Ich suche Ravenwood«, sagte er. Das ist absurd, fügte er im stillen hinzu. Mitten in der Nacht in einem wildfremden Ort, und du fragst nach einem Menschen in einer Sprache, die hier keiner versteht. »Ein Mann namens Ravenwood.«
Der Mann glotzte ihn verständnislos an. Er öffnete den Mund.
»Kennen-Sie-Mann-namens-Ravenwood?« Ganz langsam, wie bei einem Schwachsinnigen.
»Raven-wood?« sagte der Mann.
»Getroffen, Freund«, nickte Indy.
»Raven-wood.« Der Mann schien an dem Namen herumzukauen.
»Ja. Genau. Wir stellen uns also jetzt die ganze Nacht hierher und lallen uns gegenseitig etwas vor«, meinte Indy resigniert, durchfroren und erschöpft, wie er war.
»Ravenwood.« Der Mann lächelte plötzlich, drehte
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