Jäger des verlorenen Schatzes
alte Mann trank einen Schluck Wein, dann schrieb er etwas auf einen Zettel. Indy bewegte ungeduldig die Schultern und beobachtete ihn. Der Imam schien das Schmuckstück so gemächlich zu betrachten, als sei die Zeit ohne Bedeutung.
»Geduld«, sagte Sallah.
Beeil dich, dachte Indy.
Der Mann stellte sein Motorrad in einiger Entfernung vom Haus ab. Er schlich an der Hausmauer entlang nach hinten und blickte in Fenster hinein, bis er die Küche entdeckte. Er preßte sich an die Wand und beobachtete Abu, der am Wasserhahn Datteln wusch. Er wartete. Abu legte die Datteln in eine Schale und stellte diese auf den Tisch. Der Mann regte sich nicht, mehr Schatten als Substanz. Der Junge stellte eine Karaffe Wein und Wasser auf ein Tablett und verließ mit diesem die Küche. Erst dann löste sich der Mann aus dem Schatten. Er zog eine Flasche aus dem Umhang, öffnete sie, schaute sich rasch in der Küche um und goß Flüssigkeit aus der Flasche über die Datteln in der Schale. Er stutzte, hörte den Jungen zurückkommen und huschte so schnell und lautlos, wie er aufgetaucht war, wieder davon.
Der Imam hatte kein Wort gesagt. Indy blickte ab und zu auf Sallah, dessen Miene verriet, daß er es gewohnt war, geduldig zu sein und lange zu warten. Die Tür ging auf. Abu kam mit Wein und Gläsern herein und stellte das Tablett auf den Tisch. Der Wein sah verlockend aus, aber Indy griff nicht danach. Das Schweigen beunruhigte ihn. Der Junge entfernte sich, und als er wiederkam, brachte er zu essen - Käse, Obst und eine Schale Datteln. Sallah griff zerstreut nach einem Stück Käse und kaute nachdenklich. Die Datteln sahen gut aus, aber Indy hatte keinen Hunger. Der Affe huschte unter den Tisch. Indy beugte sich vor und griff nach einer Dattel. Er legte den Kopf zurück, warf die Dattel in die Luft und versuchte sie mit dem Mund aufzufangen - aber sie prallte von seinem Kinn ab und hüpfte davon. Abu warf ihm einen sonderbaren Blick zu - so, als sei dieser abendländische Brauch zu absurd, um ergründet werden zu können -, hob die Dattel auf und warf sie in den Aschenbecher.
Verflixt, dachte Indy. Bin nicht mehr in Form. »Schauen Sie. Kommen Sie her und sehen Sie selbst«, sagte der Imam plötzlich.
Seine heisere Stimme brach das Schweigen mit der feierlichen Autorität eines Gebets. Es war eine Stimme, auf die man sofort hörte. Indy und Sallah blickten über die Schultern des alten Mannes, der auf die erhaben geprägten Zeichen zeigte.
»Das ist eine Warnung... sich nicht an der Bundeslade zu vergreifen.«
»Genau das, was ich brauche«, sagte Indy. Er beugte sich weiter vor.
»Die anderen Zeichen betreffen die Höhe des Stabes von Re, auf dem dieser Aufsatz angebracht werden muß. Das Stück allein ist nicht von Nutzen.«
Indy bemerkte, daß die Lippen des alten Mannes ein wenig schwärzlich aussahen und er von Zeit zu Zeit mit der Zunge darüberfuhr.
»Dann hat Belloq die Höhe des Stabes von seiner Nachbildung«, sagte Indy. Sallah nickte. »Was sagen die Zeichen?« fragte Indy.
»Das ist noch die alte Weise. Es bedeutet, sechs Kadam hoch.«
»Ungefähr 1.83m hoch«, erklärte Sallah.
Indy hörte den Affen am Tisch herumstreichen, wo das Essen stand, und nach dem einen oder anderen greifen.
Er ging hinüber und holte sich eine Dattel, bevor der Affe zugreifen konnte.
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte der Imam. »Auf der anderen Seite der Scheibe steht auch etwas. Ich lese es euch vor. ›Und nehmt einen Kadam weg, um den hebräischen Gott zu ehren, dessen Lade dies ist.‹«
Indys Hand erstarrte auf dem Weg zum Mund.
»Sind Sie sicher, daß auf Belloqs Scheibe nur eine Seite Zeichen aufweist?« fragte Sallah.
»Ganz sicher.«
Indy begann zu lachen.
»Dann ist Belloqs Stab um mehr als dreißig Zentimeter zu lang. Sie graben an der falschen Stelle.«
Sallah lachte mit. Die beiden Männer umarmten sich, während der Imam mit ernster Miene zusah.
»Ich weiß nicht, wer Belloq ist«, sagte der alte Mann. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß man die Warnung, was die Lade betrifft, sehr ernst nehmen muß. Ich kann Ihnen auch sagen, daß geschrieben steht: Wer die Lade öffnet und ihre Kräfte herausläßt, wird sterben, wenn er daraufblickt. Wenn er es wagt, ihnen gegenüberzutreten. Ich würde mich an diese Warnungen halten, an Ihrer Stelle.«
Der Augenblick hätte eigentlich feierlich sein müssen, aber Indy war angesichts der Erkenntnis des Fehlers, der dem Franzosen unterlaufen war, zu begeistert, um auf die
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