Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Ordnung, sagte sie, Emily habe sich hingelegt, sie spüre wohl was. Dass der Papa noch nicht heimgekommen sei, mache ihr Angst und große Sorgen. Sie habe sie beruhigt, noch nichts gesagt, sie müsse auf den richtigen Zeitpunkt warten. Brigitte Haberle rang die Hände, blickte rasch zwischen ihnen hin und her. Sie wirkte irritiert, hilflos, ein wenig verstört. Nein, dachte Louise, mitgemacht hatte sie nicht. Aber sie hatte weggeschaut, verdrängt, geleugnet. Jetzt begannen sich die Abgründe zu öffnen.
Brigitte Haberle bot ihnen Tee an. Bermann lehnte ab, Louise nickte.
Auch die Küche war weiß. Ober- und Unterschränke, Fliesenspiegel in Hochglanz, nur der Tisch war aus einem angenehm warmen braunen Holz.
Sie setzten sich nicht.
»Kam Ihnen Ihr Mann in letzter Zeit verändert vor?«, fragte Louise.
»Verändert?«
»Unruhig, besorgt. Anders als sonst.«
Brigitte Haberle füllte einen Wasserkocher, schüttete Tee in ein Sieb. Die Hälfte fiel daneben, dunkle Blätter auf weißem Furnier. Sie wischte sie mit einem Lappen weg. »Er war … er kam mir … Ja, doch, er kam mir besorgt vor.«
»Wie hat sich das geäußert?«
Er hatte, sagte Brigitte Haberle, in den vergangenen Nächten unruhig geschlafen. War später als sonst aus der Praxis nach Hause gekommen. Hatte gestresst gewirkt, sogar fahrig manchmal. Hatte sich nicht so liebevoll um Emily gekümmert wie sonst. Ja, jetzt, im Rückblick, fiel ihr auf, dass er sehr besorgt gewirkt hatte.
Nadine, die verschwunden war. Eddie, der ermordet worden war. Falls ihre Vermutung zutraf, dachte Louise, hatte Dietmar Haberle allen Grund zur Sorge gehabt. »Aber Sie wissen nicht, weshalb?«
»Nein. Über solche Dinge haben wir nicht gesprochen … Über seine Alltagssorgen. Er wollte das alles von uns fernhalten. Probleme in der Praxis, solche Dinge.« Brigitte Haberle lächelte schüchtern. Keine Tränen mehr, keine Trauer mehr. Vielleicht, dachte Louise, hielten sich Trauer und Erleichterung die Waage, und das Ergebnis waren Irritation und Hilflosigkeit.
»So«, sagte Bermann. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, stand auf der Türschwelle, als wollte er Brigitte Haberle signalisieren: Hier kommst du nicht raus. An mir kommst du nicht vorbei. Ich lass dich nicht damit davonkommen.
»Wo war Ihr Mann am Wochenende?«, fragte Louise.
»Am Wochenende … Am Samstag bei einem Freund. Sie haben Skat gespielt, und …«
»Zu zweit?«, fragte Bermann.
»Ich … Das weiß ich nicht.«
»Wann ist er heimgekommen?«, fragte Louise.
»Erst am Sonntagabend.«
»Die haben lange zu zweit Skat gespielt«, sagte Bermann.
»Ja. Nein … Er ist von dort weiter, er musste einen Hausbesuch machen.«
»Wo, wissen Sie nicht?«, fragte Louise.
»Nein.«
»So«, sagte Bermann wieder. Er zog die Brieftasche aus der Jacke, nahm ein Foto heraus und legte es auf den Tisch. Nadine. »Mal gesehen?«
Brigitte Haberle beugte sich vor. »Ich … Nein.«
»Sicher nicht?«
»Ich glaube nicht, nein. Wer ist das?«
»Ein anderes Kind.« Bermann steckte das Foto ein.
»Ich verstehe nicht …«
Der Wasserkocher schaltete sich mit einem Klacken ab.
»Das Wasser«, sagte Bermann.
Brigitte Haberle wandte sich rasch ab und goss den Tee auf.
»Haben Sie gehört, was Ihr Mann gestern Nacht am Telefon gesagt hat?«, fragte Louise.
»Nein, er ist aus dem Zimmer gegangen.« Brigitte Haberle stellte die Tasse auf den Tisch. Ihre Hände zitterten. Sie war totenblass.
» Grüner Tee«, sagte Bermann.
»Ja«, sagte Brigitte Haberle und sah Louise an.
»Ich dachte, Sie trinken sicher nur weißen Tee.«
»Ich … Nein, weißen Tee haben wir nicht.«
»Ich dachte nur«, sagte Bermann.
Sekundenlang sprach niemand. Louise fing Bermanns Blick auf, zog die Brauen hoch. Seine Augen waren dunkel und groß. Pham fiel ihr ein, auf den sie im Kanzanan gestoßen war, dem Zen-Kloster im Elsass. Ein Vierjähriger aus Vietnam, für den Verkauf an europäische Adoptiveltern vorgesehen. Jetzt gehörte Pham zu Bermanns Familie.
Bermann und Kinder.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Brigitte Haberle. »Muss ich ihn …«
»Müssen Sie«, erwiderte Bermann.
»Und seine Sachen …«
»Können Sie in der Polizeidirektion abholen.«
Brigitte Haberle nickte. »Und … das Auto? Können Sie mir das Auto bringen? Ich kann doch nicht … Auto fahren.«
»Das Auto steht im Carport«, sagte Louise.
»Das andere Auto. Er hat das andere Auto genommen.«
»Das andere Auto?«
»Wir haben zwei.
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