Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Ganze war aus dem Ruder gelaufen. Vielleicht, weil es nicht vorbereitet gewesen war? Ein paar Männer, ein spontaner Entschluss am frühen Sonntagmorgen, Nadine ein zufälliges Opfer. Ihre Flucht, eine hektische Suche begann, führte zu zwei Morden, die nicht hätten sein müssen, nicht hätten sein dürfen. Der Polizist musste das wissen. Vor allem Haberle hätte nicht sterben dürfen. Sein Tod bedeutete Dutzende neue Spuren. Jetzt waren sie an den Tätern dran. Hatten Namen, weitere Details.
Der Polizist musste all das wissen.
Der Kripomann, der vielleicht in der Soko war.
Bermann kam aus dem Kassenraum. Seine Augen glitten über sie. Irgendetwas lief schief zwischen ihnen, seit Jahren. Irgendetwas war immer unausgesprochen geblieben. Manchmal glaubte sie zu spüren, dass hinter seiner Aggressivität Zuneigung lag. Es gab Tage, da ließ er keine Gelegenheit aus, sie zu berühren, während er sie angiftete. Dann ging er wieder auf Distanz, als würde er sich vor ihr und noch mehr vor sich selbst ekeln. Er hätte sie oft genug in die Provinz strafverschicken können. Er hatte es nicht getan.
Bermann war stehengeblieben. Er betrachtete ein Auto, das an einer der anderen Zapfsäulen gehalten hatte. Ein Streifenwagen. Ein uniformierter Kollege stieg aus, winkte ihr zu. Sie winkte zurück.
Bermann hatte die Stirn gerunzelt, wandte sich zu ihr. Sie konnte mitverfolgen, wie sich die Gedanken zu einer bitteren Erkenntnis zu formen begannen.
Ein Polizist.
Sie standen an dem niedrigen Mäuerchen, das den Tankstellengrund vom Gehweg trennte. Der Vormittagsverkehr lärmte an ihnen vorbei, eine Straßenbahn fuhr kreischend in die Kurve. Bermann wirkte mit einem Mal müde, das gebräunte Gesicht grau. Er wartete, bis das Kreischen vorbei war. Dann sagte er: »Deswegen bist du zu Almenbroich.«
Sie nickte.
»Aber was macht dich so sicher?«
»Ich bin mir nicht sicher, Rolf.«
»Dass Josepha Ettinger dir nichts von Nadine gesagt hat?«
»Nicht nur das. Drei Tage lang haben sie sich um sie gekümmert, ohne jemanden zu informieren. Nicht mal ihre Eltern. Dann sind sie mit ihr verschwunden.«
Bermann nickte. Mit vier Fingern der rechten Hand strich er sich mechanisch über den Schnurrbart. Die Stirn war wieder oder immer noch gerunzelt. »Vielleicht wollen sie Geld?«
»Quatsch. Sie haben sie in Sicherheit gebracht.«
»In Sicherheit vor einem Polizisten.«
»Ja.«
Bermann stöhnte, rieb sich mit beiden Fäusten die Augen. Für einen Moment sah er aus wie ein müdes, kleines Kind.
Dann Haberle, sagte Louise, der offensichtlich zum Störfaktor geworden war. Der Mörder hatte eine Stichwaffe bei sich getragen. Er hatte den Mord geplant. Weil Haberle in Panik geraten und zur Gefahr geworden war? Aber weshalb? Weil die Täter mehr gewusst hatten, als sie hätten wissen dürfen. Welche andere Möglichkeit wäre plausibel? Sie hatten Nadine nicht mehr in ihrer Gewalt, also konnte es nicht um Lösegeld gehen. Oder um Streit darüber, was mit ihr geschehen sollte.
Bermann hatte sich abgewandt. Er nickte wieder. »All das bleibt unter uns. Wenn du dich irrst, kann ich einpacken.«
Sie lächelte enttäuscht. »Wenn wir uns irren.«
Bermann sah sie an. »Ja.«
»Ich hab mit Alfons gesprochen.«
»So?« Er lächelte verzerrt. »Mit allen, nur nicht mit mir.«
»Mit Almenbroich und mit Alfons, Rolf. Nicht mit allen .«
»Jedenfalls nicht mit mir.«
Sie zuckte die Achseln. Quengelnde Männer, unerträglich.
»Kein Vertrauen, was?«
»Lassen wir das jetzt, Rolf.«
Sie gingen zum Wagen zurück.
»Hast du einen Verdacht?«
»Nein. Aber wir müssen damit rechnen, dass er in der Soko ist.«
Bermann hielt inne. »In der Soko? Er begeht ein Verbrechen und wird zufällig in die Soko berufen, die das Verbrechen aufklären soll? Nein. Zu viel Zufall.«
»Wer wurde berufen? Nur die Leute vom D 11, oder?«
Bermann nickte stumm.
»Die anderen … standen plötzlich da. Wollten helfen, weil im D 11 Personalmangel herrscht. Wir müssen rausfinden, wen Löbinger geschickt hat und wer sich selbst angeboten hat.«
»Scuma hat sich angeboten.«
Walter Scuma, Fahndungsdezernat. Der Mann mit den quergelegten Haarsträhnen, der randlosen Brille über dem Schnauzer. Einer von denen, die gegen sie waren. Was nichts hieß – viele waren gegen sie. »Andere auch.«
Bermann ging weiter, den Kopf schüttelnd, zischte: »Er kann nicht in der Soko sein, Louise.«
»Für ihn wäre es ideal. Er wäre an der Quelle. «
»Das darf einfach
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