Jäger
Grinsen.«
»Was machen Sie hier?«
»Ihr Leben retten. Beeilen Sie sich, bitte.«
Als ich versuchte, mir den Großen näher anzusehen,
schwankte ich wie betrunken hin und her. Er war Anfang sechzig, hatte
massige, runde Schultern, dicht behaarte Handrücken und
schleppte einen Bierbauch mit sich herum.
Der Große machte die hintere Tür des Mercedes auf und
stieß mich hinein. Ich setzte mich auf.
»Wie wunderbar für Sie, Rudy«, krächzte ich.
»Ein schöner deutscher Wagen.«
Banning starrte unverwandt durch die Frontscheibe.
Der Große ließ sich in den Beifahrersitz sinken und
reichte mir einen Plastikkanister mit Milch. »Trinken Sie
das«, sagte er. »Trinken Sie alles aus. Davon wird Ihnen so
schlecht werden wie einem kranken Hund und Sie geben es vorne und
hinten wieder von sich. Sagen Sie uns rechtzeitig Bescheid, wenn es
in Ihrem Bauch zu rumoren anfängt.« Er warf einen Blick auf
seine Uhr. »Wird etwa ’ne Stunde dauern.«
»Ich werde Sie rechtzeitig warnen«, erklärte ich
feierlich.
Ich fing zu trinken an. Es war keine Milch. Es schmeckte
entsetzlich – wie sehr saurer Joghurt mit einem Schuss
Angostura. Ich tat, was sie mir befohlen hatten. Nicht weil ich dazu
gezwungen wurde, sondern weil mir eine neue, ängstliche und sehr
leise Stimme sagte, dass ich mich um ein Haar umgebracht hätte
und dies hier Freunde waren.
Der Große beobachtete, wie ich trank. »Machen wir, dass
wir von hier verschwinden, bevor sie zurückkommen und nach Ihnen
sehen.«
Rudy ließ den Blick rasch über den Parkplatz gleiten,
startete den Mercedes und steuerte ihn so, als sei er als alter
Europäer längst an den Wagen gewöhnt, auf die
Straße.
»Wir bringen Sie zu einem Flugzeug«, erklärte der
Große. »Wir fliegen nach New York. Ich war bereits dort,
wo wir hinwollen.«
»Ich kenne Rudy, aber wer sind Sie?«, erkundigte ich
mich zwischen zwei Schlucken.
»Ich bin der Dreckskerl, der Ihren Bruder erschossen
hat«, erwiderte er mit bitterer Miene.
Vierter Teil
Ben Bridger
Kapitel 32
20. Juni – Manhattan
»So ähnlich muss es sein, wenn man Schachfiguren per
Walkie-Talkie von jemandem ziehen lässt, der
Küchenhandschuhe trägt«, sagte Rob, als der Amtrak in
die Penn Station einfuhr. Er war soeben aus einem tiefen, von lautem,
gurgelndem Schnarchen begleiteten Schlaf aufgewacht. Seine Augen
waren verschwollen und er stierte benommen auf die Stein- und
Backsteinwände draußen vor den Zugfenstern. Er sah
furchtbar aus. »Hände weg, jetzt drei und vier aus dem Weg
räumen, abwarten und sich verbergen, bis zum nächsten
Zug…«
Ich fragte ihn, worüber er rede.
»Über Silk«, erwiderte er.
»Die haben uns bisher ziemlich Feuer unterm Hintern
gemacht.« Wir stiegen aus dem Zug, staksten mit steifen Beinen
den Bahnsteig hinab und schleppten unsere zwei Koffer – billige
Ramschware aus einem Discount-Laden in Los Angeles – die Stufen
zur Pennsylvania Avenue hinauf. Ich sah mich nach einem Taxi um.
»Kein Taxi, das wartet«, sagte Rob. »Wir
dürfen auf keinen Fall ein Taxi nehmen, das auf uns wartet. Am
besten, wir gehen ein paar Querstraßen zu Fuß.«
Das war eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme. »Sind
Sie sicher, dass Sie das schaffen?«
Rob war blasser denn je und unsicher auf den Beinen. »Wir
sind nichts anderes als zweibeinige Laborratten«, murmelte er,
während wir uns durch die Menschenmenge vor dem Bahnhof
schlängelten, wobei wir versuchten, jeden Körperkontakt zu
vermeiden. »Mir geht’s gut. Gehen Sie einfach weiter,
ja?«, knurrte er genervt, als ich versuchte, ihm den Koffer
abzunehmen. »Ich schaff das schon. Er ist wirklich nicht
schwer«, fügte er hinzu und wechselte den Koffer in die
andere Hand. »Gott, ich bin so beschränkt! Ich dachte, es
gäbe Grenzen. Ich hätte Ihre Bücher genauer lesen
sollen.«
»Sie sollten sich etwas ausruhen. Wir setzen uns in eine
Hotellobby und Sie trinken ein Glas Wasser, aus der
Flasche.«
»Haben Sie es gehört? In drei Stadtteilen verseucht
jemand Plastikflaschen mit Trinkwasser.«
»Ja, aber nur mit Ammoniak und Bleichlauge«, sagte ich.
»Ein ganz normaler Irrer.«
»Woher wollen wir wissen, dass es keine Tarnung
ist?«
Ich schüttelte den Kopf. Wir konnten es nicht wissen. Wir
wussten gar nichts. Wir hatten eine Woche lang gearbeitet und waren
den Rest der Zeit unterwegs gewesen. Wir waren halb tot vor
Erschöpfung. Robs linker Arm war bandagiert, wo ihn ein
umherfliegender Splitter getroffen
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