Jäger
verabreichte
uns schließlich die neueste Version seines Impfstoffs.
Während er beschäftigt war, griff ich zum Telefon.
Ich konnte es zwar kaum noch abwarten, Silk in die Suppe zu
spucken, hielt es jedoch für ratsam, zusätzliche Hilfe
anzufordern.
New York wurde Robs Heiliger Gral. Ich schwöre, er benahm
sich so, als wollten wir ein Heiligtum besuchen. Meine Bedenken, dort
allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen, schlug er in den Wind.
»Ich muss dort nur ein paar Proben besorgen«, wiegelte
er ab. »Ich kann alles zusammenfügen, wenn ich nur ein paar
Proben in die Hände bekomme.«
•
Wir müssen wie zwei Penner in einer schlechten
Broadway-Komödie ausgesehen haben.
Plötzlich blieb Rob mitten auf dem Gehweg stehen, starrte in
die Wolken und den Nieselregen und heftete gleich darauf den Blick
auf mich.
»Schaffen Sie’s denn überhaupt?«, fragte er
mit echter Besorgnis. »Es ist ein wahres Hexengebräu, das
weiß ich. Aber ich hatte nicht genügend Zeit. Ich brauche
unbedingt noch die letzten paar Oberflächenproteine, dann kann
ich komplementäre RNS herstellen und die Gen-Expression
blockieren…«
»Augenblick mal.« Ich zog ihn so nah an mich heran, dass
unsere Koffer aneinander stießen. Ein unauffälliger
dunkelgrüner Ford Crown Victoria ohne besondere Aufschrift oder
Blaulicht fuhr bereits zum dritten Mal an uns vorbei. Ein alter
Knacker in brauner Bomberjacke aus Leder streckte den Arm aus dem
offenen Wagenfenster und sah zu uns herüber. Als er meinen Blick
auffing, nickte er freundlich und bedeutete dem Fahrer, am Bordstein
zu halten.
Wie zwei von Scheinwerfern geblendete Rehe blieben Rob und ich
einfach stehen.
Gleich darauf stieg der Alte in der Bomberjacke aus und winkte uns
zu. »Verdammt, Ben, komm rüber!«, rief er. »Wir
nehmen euch mit.«
Rob zitterte so heftig, dass ich befürchtete, er werde gleich
in Ohnmacht fallen. Ich musterte den Mann aus zusammengekniffenen
Augen. »Stuart?«, rief ich und musste grinsen, wurde aber
gleich wieder ernst. Ich hatte keinen Grund zu grinsen oder irgendwem
zu trauen.
»Ja, steigt ein«, rief Stuart zurück.
»Wer ist das?«, fragte Rob, schon halb auf dem
Sprung.
»Ein Freund, ein Gespenst aus meiner Vergangenheit. Wir haben
als letzten Rettungsanker für den Notfall so etwas wie ein
Rundruf-System samt Anrufbeantwortern eingerichtet. Ich habe nicht
gedacht, dass mir irgendjemand glauben würde. Wenn man sich
verrückt verhält, hilft einem meiner Erfahrung nach kein
Mensch.«
Rob folgte mir mit ein paar Schritten Abstand, als ich zum Wagen
ging. Stuart Garvey war in der CIA gewesen, bis er Anfang der
Achtziger in Pension gegangen war. Ich hatte ihn seit 1985, bei einem
Treffen der alten CIA-Haudegen, nicht mehr gesehen, aber er
gehörte zu unserem Buschtrommel-Club. Er war der Zweite gewesen,
dem ich zu Hause in El Cajon meine Fragen gemailt hatte, derjenige,
der nicht geantwortet hatte – und der Letzte, den ich hier in
New York als Empfangskomitee erwartet hätte.
»Ihr braucht eine Fahrgelegenheit, nicht?«, erkundigte
sich Stuart lässig und stieß die hintere Wagentür
auf. Er fasste Rob prüfend ins Auge. »Dein Freund sieht
aus, als könne er jeden Augenblick zusammenklappen, falls er
sich nicht bald irgendwo hinsetzen kann.«
»Mir geht’s gut«, knurrte Rob. Ich bezweifle, dass
ihm irgendjemand glaubte.
Nachdem wir eingestiegen waren, stellte Stuart uns den Fahrer vor.
»Du erinnerst dich doch an Norton, oder?«
Ich erinnerte mich vage an ihn, von Besäufnissen auf dem
Marinestützpunkt in Quantico. Norton Crenshaw, jünger als
Stuart, in den Sechzigern und schon früher recht rundlich. Wir
hatten ihn Melone genannt. Er trug eine Windjacke und eine
verwaschene E.T.- Mütze.
»Ich bin nur stiller Teilhaber«, sagte Norton mit
unbekümmertem Grinsen. Sein Gesicht wirkte freundlich, aber mir
fiel ein, dass es ihm Spaß gemacht hatte, das Töten zu
lernen.
Stuart fuhr mit uns zu einem ruhigen Restaurant, dessen Besitzer
ihn kannte. Direkt nach der Eingangstür gingen wir durch einen
Metalldetektor von der Art, wie es sie in Flughäfen gibt. Stuart
hielt die Arme in die Höhe und drehte sich mit einer langsamen
Pirouette hindurch. Der Detektor gab ein leises Pfeifen von sich
-Wechselgeld und Schlüssel, wie sich herausstellte. Auch wir
übrigen passierten ohne Probleme. Der Besitzer, ein
schmächtiger, würdevoller Chinese mit faltigem Gesicht, gab
uns eine Nische im hinteren Teil des Lokals.
Stuart und ich gingen auf die
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