Jäger
Männertoilette. Er warf mir
über die marmorne Trennwand zwischen den Pissoirs einen Blick
zu. Sein Strahl kam rasch und mühelos, während meiner eine
Weile brauchte – was bedeutete, dass er glaubte, die Oberhand zu
haben. »Hast du eine Ahnung, worauf du dich da eingelassen
hast?«, fragte er mit gedämpfter Stimme, schüttelte ab
und zog den Reißverschluss zu.
»Nein, verdammt«, knurrte ich.
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?« Stuart wusch
sich als Erster die Hände im einzigen Waschbecken. Als ein
ekelhaft süßlicher Erdbeerduft aus dem Becken emporstieg,
rümpfte er die Nase.
»Netter Trick, seine Gäste nach Waffen zu
durchsuchen«, bemerkte ich.
»Ja. Mr. Chung hatte einige Probleme mit ein paar Punks, die
Schießeisen mit sich herumschleppten. Weißt du alles, was
es über Dr. Cousins zu wissen gibt?«
»Erzähl du es mir«, sagte ich und wusch mir als
Nächster die Hände. Er zog eine Bahn des weißen
Baumwollhandtuchs aus dem Spender nach unten und trocknete sich
gründlich die Hände.
»Der Wind bläst uns heftig um die Nase. Und dabei wird
Dreck hochgewirbelt, von dem wir dachten, wir hätten ihn schon
vor vierzig Jahren beseitigt. Und Dr. Cousins sitzt mitten im Auge
des Hurrikans.« Er stieß mit der Schulter die
Schwingtür auf und ließ mich allein in der Toilette
stehen. Mein Dschungel-Instinkt ließ gleich mehrere
Alarmglocken losschrillen.
Als ich zum Tisch zurückkehrte, stocherte Rob mit einer Gabel
immer noch an seinem Pastrami-Sandwich herum und hatte sein Glas
Eistee nicht angerührt. Sein Blick gab mir zu verstehen, dass er
hier weder essen noch etwas trinken wollte. »Woher wussten Sie,
mit welchem Zug wir kommen?«, fragte Rob, als ich wieder Platz
nahm.
Stuart klopfte sich mit dem Mittelfinger an die Schläfe.
»Einmal Agent, immer Agent«, sagte er. »Wo wohnt
ihr?«
»Nirgends«, erwiderte ich. »Wir wollen uns ein
Gebäude ansehen und dann auf dem schnellsten Weg wieder von hier
verschwinden.«
»Welches Gebäude?«, fragte Stuart.
Rob warf mir einen fragenden Blick zu. Ich nickte. »Das
Jenner Building.« Er zeigte ihnen den Zettel mit der
Adresse.
»Großer Gott.« Stuart senkte seine Stimme und
beugte sich über den Tisch. »Die Anthrax-Zentrale? Sie ist
geschlossen. Man kann dieses Monstrum nicht einmal abreißen, so
verseucht ist es.«
Ich hatte keine Ahnung, worauf Stuart hinauswollte. Dann
dämmerte es mir. Chemische und bakteriologische
Kriegsführung war Stuarts Spezialgebiet gewesen.
»Richtig«, sagte ich. »Du hast dich seinerzeit ja mit
diesen Dingen befasst.«
»Es gibt dort kein Anthrax«, erklärte Rob.
»Das ist nur Tarnung.«
»Ich habe was anderes läuten hören.« Stuart
spielte mit Rob und das gefiel mir nicht. Aber ich musste
herausfinden, aus welcher Richtung der Wind wehte, um schnell
eingreifen zu können, wenn er sich zum Orkan auswuchs. Was bald
geschehen würde.
Stuart und Norton hatten von Anfang an gewusst, wohin wir wollten.
Sie waren noch immer im aktiven Dienst. Sie waren auf uns angesetzt
worden.
»Es hat nichts mit Anthrax, dem Milzbranderreger, zu
tun«, widersprach Rob. Seine Stirn war mit Schweißperlen
übersät. Er drehte den Kopf mit einem Ruck zu mir herum und
sah mich an. »Wir sollten uns ein Taxi nehmen.«
»Dein Kumpel fühlt sich nicht gut«, stellte Stuart
nachdrücklich fest.
»Quatsch, mir geht es gut«, knurrte Rob.
»Er selbst muss es ja wohl am besten wissen«, nahm ich
Rob in Schutz. »Also, Stuart – sag schon, was du zu sagen
hast.«
»Wie konntest du dich in so was hineinziehen lassen, Ben?
Ausgerechnet du? Du hast keinen blassen Schimmer von chemischer und
bakteriologischer Kriegsführung. Bist du zu herumstreunenden
Hunden immer so nett?«
»Ja, wenn jemand meint, er könne sie ungestraft mit
Füßen treten.« Norton schnaubte geringschätzig
und klopfte sich mit einem seiner plumpen Finger gegen die
Unterlippe.
Stuart machte ein saures Gesicht. »Zum Teufel mit der
Warterei. Seid ihr so weit?«
Rob machte eine abwehrende Geste Richtung Sandwich. »Ich hab
keinen Hunger.«
»Wir helfen euch bei dieser Sache.«
Wir gingen zum Wagen zurück. Norton pfiff ein munteres
Liedchen, während er den Motor anließ. Rob sah schlechter
denn je aus.
»Manhattan war mal eine Brutstätte der biologischen
Forschung, das meiste davon geheim«, erzählte Stuart,
während wir durch die belebten, regennassen Straßen
fuhren. Ich zog vorsichtig am Griff der linken hinteren Tür. Er
ließ sich ohne
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