Jäger
Widerstand hin und her bewegen; an wesentlichen
Wagenteilen war er ganz bestimmt nicht befestigt.
»Sie begannen hier damals – Ende der
Dreißigerjahre – mit dem Bau von drei separaten
Gebäuden. Die modernsten Labors ihrer Zeit. In einigen davon
arbeiteten Wissenschaftler an der Entwicklung von Impfstoffen gegen
Pocken, Malaria und Polio. Sie verwendeten die besten
Isoliertechniken, die damals bekannt waren. Trotzdem ist es ein
Wunder, dass nicht irgendwas aus den Laboratorien entkam und Tausende
von Anwohnern tötete. Möglicherweise sogar Millionen. Das
letzte Gebäude wurde 1954 fertig gestellt und bezogen.« Er
deutete die Straße hinauf. »Es war bis Anfang der
Sechzigerjahre die Zentrale von Silk.«
Rob beugte sich vor. Auf seinen Wangen erschienen hektische
Flecken. »Was wissen Sie über Silk?«
»Wesentlich mehr als Rudy Banning«, erwiderte Stuart.
»Mein letzter Auftrag bestand darin, Rudy ein für alle Mal
zu diskreditieren. War nicht schwer. Der Mann ist ein
Irrer.«
»Ich dachte, du seist in den Achtzigerjahren in Pension
gegangen«, sagte ich zu Stuart.
Verärgert über so viel sinnloses Geschwätz, starrte
Stuart aus dem Fenster. Man erfährt normalerweise nichts von
einem CIA-Agenten, wenn man seine Augen beobachtet, doch diesmal
wollte er, dass ich mitbekam, wie er sich fühlte: ungeduldig.
»Das ist nichts für dich, Ben. Du hättest den Braten
früher riechen und aus der Sache aussteigen sollen.«
Wie eine mit dem Kopf ruckende Taube blickte Rob von einem zum
anderen. »Mein Verfolgungswahn war wohl längst nicht stark
genug, stimmt’s?«
Der Wagen bog auf eine Ladezone gegenüber einem riesigen,
grauen Steinkasten, der vom ständigen Nieselregen schwarz
glänzte.
»Wir sind da«, verkündete Norton, griff unter das
Armaturenbrett und reichte Stuart etwas, das ich nicht sehen konnte.
Wahrscheinlich war es eine Pistole.
Die unteren Stockwerke des Gebäudes hatten keine Fenster. Die
Eingangstüren waren mit Brettern vernagelt und mit einer zweiten
Schicht verstärkt worden. Die Mauern des Erdgeschosses waren mit
Graffiti bedeckt, so dass das Gebäude heruntergekommen und leer
stehend wirkte – eine gute Tarnung und ein ähnlich
wirksamer Schutz wie ein grell besprühter schwerer Zaun.
»Erstklassige Immobilie«, bemerkte Stuart. »Sagt
dir das nichts?«
»Warum bist du hier, Stuart? Und was weißt
du?«
»Ich sage es dir offen und ehrlich, Ben. Um der alten Zeiten
willen.«
Norton bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick und streckte
resigniert die Hände hoch. »Glauben wird das sowieso
keiner. Es ist völlig verrückter Mist. So verrückt wie
die Geschichten von kleinen grünen Männchen.«
»Der Ruhestand hat mir gestunken«, erklärte Stuart.
Er hob die Pistole ein Stück höher, so dass wir sie sehen
konnten. Eine SIG-Sauer; ich konnte die Modellnummer nicht erkennen,
aber die Waffe war dunkel und glänzend – exakt das Modell,
mit dem der Staat seine Diener für das neue Jahrtausend
ausgerüstet hatte.
»Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Besten der alten
Garde wieder einberufen, um den ganzen Spionagesektor neu zu
strukturieren, wie ein eigenständiges Unternehmen zu
strukturieren.«
»Mich haben sie nicht gefragt«, warf ich ein.
»Stimmt«, erwiderte Stuart.
»Jetzt ist es aus mit uns«, sagte Rob und hob die
Hände wie ein Bösewicht, der sich dem Sheriff ergibt.
»Halten Sie den Mund«, fuhr Stuart ihn an. »Sie
sind schuld daran, dass eine Menge Arbeit umsonst war.«
Ich legte eine Hand auf Robs Arm: Ganz ruhig!
»Als junger Bursche habe ich mich Ende der
Fünfzigerjahre und Anfang der Sechziger mit Silk befasst. In den
Einsatzbesprechungen hörte ich damals Dinge, die du nicht
glauben würdest. Das OSS und der MI6 hatten Silk während
der Vierzigerjahre die meiste Zeit im Visier, wenn auch mit
längeren Unterbrechungen. Niemand kennt Silks wahre Geschichte
während des Krieges. Aber das war alles vor meiner Zeit. Ich
weiß jedoch, dass Silk Ende der Vierzigerjahre begann, mit uns
zu kooperieren. Sie erkannten Stalins nahenden Alterswahnsinn und
stellten binnen drei Jahren sämtliche Operationen in der
Sowjetunion ein, machten ihre Vorräte an Wirkstoffen und die
Laboratorien unbrauchbar und trennten sich von der nachfolgenden
Generation – derjenigen, die auf dem Gebiet der biologischen
Kriegsführung forschte. Es war alles sehr raffiniert
eingefädelt. Im Bewusstsein der russischen Öffentlichkeit
war Silk nach Stalins Tod eigentlich nur noch
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