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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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mussten versucht haben, die jüngeren
zu beschützen. Das erste Einsatzkommando hatte alle in den
unteren Stockwerken getötet. Nicht sehr viele, wie ich annahm;
es war nur eine kleine Operation gewesen.
    »Die Golochowa hat noch immer Forschungen betrieben und
über ihre eigenen Kuriere und Versuchspersonen
verfügt«, sagte ich. »Können Sie den Kindern was
zu essen besorgen?«, rief ich Breaker und Delbarco zu.
    Das schwarze Mädchen musterte uns immer noch mit
argwöhnischem Blick. Sie stand drei, vier Schritte entfernt und
schien nicht näher kommen zu wollen, was mir durchaus recht war,
denn ich wollte einen näheren Kontakt mit den Kindern ebenfalls
vermeiden. Ich betrachtete ihre von feinen Falten durchzogene Haut,
die wissenden, müden Augen und war mir plötzlich nicht mehr
sicher, ob ich es wirklich mit einem Kind zu tun hatte.
    Sie versuchte es erneut mit einem Schwall von Russisch. Ich
hörte zwar den Befehlston heraus, konnte aber nur
verständnislos mit den Achseln zucken. Wütend schleuderte
sie ihre Infusionsflasche nach mir, wobei die Nadel an dem
Plastikschlauch wie der Stachel eines Riesenskorpions durch die Luft
peitschte. Die Flasche prallte von meinem zum Schutz erhobenen Arm ab
und fiel auf den Boden. In panischer Hektik suchte ich den Ärmel
des Schutzanzugs nach Rissen oder Löchern ab, was das
Mädchen offensichtlich sehr belustigte.
    »Gehen wir«, sagte Ben und zog mich weg.
    Die Kinder rannten in ihre Zimmer zurück. Ich hörte
Kichern und leise, ängstliche Kinderstimmen wispern und
wimmern.
    Wir stiegen in den neunten, zehnten und elften Stock empor,
inspizierten jede Etage flüchtig und stießen auf weitere
Tanks, Isolierkabinen mit Stahlwänden und riesige, leer stehende
Labors, deren Türen zugeschweißt waren. Die im Halbdunkel
liegenden Innenräume waren durch die staubbedeckten Acrylfenster
nur undeutlich auszumachen. Wir fanden Lagerräume mit Hunderten
von umgekippten, leeren Aktenschränken, Stahlfässer voll
erkalteter Asche, Mülltonnen, die bis obenhin mit leeren
Chemikalienflaschen und Glasbehältern gefüllt waren, lange
Reihen alter schwarzer Schreibmaschinen, eine IBM 360, halb von einer
zerrissenen, vergilbten Plastikplane verhüllt, und viele
zersplitterte Lattenkisten.
    Im zwölften Stock entdeckten wir einen Lagerraum, der bis zur
Decke mit leeren Kunststoffsärgen voll gestapelt war. Ein dicker
Mann in schwarzer Windjacke lag inmitten dieser Türme auf dem
Bauch: Die Kugel hatte ihn in den Rücken getroffen.
    Ben schlug einen Bogen um die schwärzliche Blutlache –
der Mann hatte sehr viel Blut verloren – und wälzte den
Toten mit einem Fuß herum. Er trug eine weite grüne
Arbeitshose und unter der offenen Jacke ein blaues Golfhemd.
    »Norton Crenshaw«, murmelte Ben. »Hallo,
Melone.«
    »Zufrieden?«, fragte Delbarco.
    »Nein, verdammt.« Ben ließ den Blick über den
Rest des Raums schweifen und zog freudlos einen Stapel Särge zur
Seite. Das hohl klingende Echo verfolgte uns, als wir rasch ins
Treppenhaus zurückkehrten.
    »Haben Sie hier was Neues erfahren?«, fragte ich
Ben.
    »Mehr als mir lieb ist«, erwiderte er.
    Vor vierzig Jahren war das Jenner Building der Schauplatz eines
der größten Projekte der chemischen und biologischen
Kriegsführung in den gesamten Vereinigten Staaten gewesen.
Mitten in Manhattan. Und dieses Projekt hatte darauf abgezielt, so
genannte Manhattan-Kandidaten zu schaffen.
    »Jetzt müssen Sie alle Ihre Bücher
umschreiben«, sagte ich zu Ben, während wir höher
stiegen.
    »Das ist keineswegs komisch«, sagte er. »Gegen das
hier wirkt das britische Geheimprojekt Enigma wie ein
durchnässter Knallfrosch.«
    Der Eingang zum fünfzehnten Stock war aufgesprengt. Brand-
und Rauchflecken zierten die Decke und die Wände rechts und
links. Hinter der aufgesprengten Tür befand sich eine zweite aus
hellem Fichten- oder Tannenholz, die mit Schnitzereien – Blumen-
und Astreliefs – verziert war. Zwei flackernde Strahler in der
Deckenwölbung tauchten die Schnitzereien in pulsierende,
schräg nach unten fallende Schatten.
    Nachdem Ben die Holztür aufgestoßen hatte, die beim
Öffnen unwillig knarrte, traten wir in einen etwa zwölf mal
zwölf Meter großen Raum, in dem völliges Chaos
herrschte. Unser Blick fiel auf umgeworfene Stühle,
zurückgeschlagene, verrutschte Teppiche und schief hängende
Landschaftsgemälde, die einen wunderschönen See (den
Baikalsee?), Berge und malerische Blockhäuser unter
mächtigen Bäumen zeigten.

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