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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wollten.
    Mit einem Stakkato klickender Geräusche, die die Reihen der
Tanks auf und ab liefen, erloschen nacheinander die Lichter.
    Wir waren wie Kinder in der Geisterbahn: wild entschlossen, uns
auch dem nächsten Ungeheuer zu stellen. Delbarco spürte
unsere unbesonnene Faszination. »Reißen Sie sich zusammen,
meine Herren«, mahnte sie und fügte mit blassem,
angespanntem Gesicht hinzu: »Ich möchte eigentlich gar
nicht wissen, was hier vor sich geht. Ich möchte nachts noch
ruhig schlafen können.«
    »Zu spät«, sagte Breaker.
    Ben hob die Hand und schnippte mit den Fingern. Wegen der
Plastikhandschuhe war das Geräusch nicht viel lauter als das
Aufklatschen eines Regentropfens. »Mir ging gerade ein
entsetzlicher Gedanke durch den Kopf«, sagte er. »Die
Bildergalerie in ihrem Büro: Es waren etwa hundert Menschen auf
den Fotos abgebildet. Zählen Sie die Tanks.«
    »Ungefähr hundert«, erwiderte ich. »Falls sie
alle belegt sind.«
    Ben bückte sich und legte die Alben auf den Fußboden.
Ich stapelte meine daneben.
    Breaker nahm über ein kleines Walkie-Talkie einen Anruf
entgegen, während Ben entschlossen zwei Reihen von Tanks
abschritt und in dem trüben Licht die Prägungen auf den
Messingschildern musterte. »Vielleicht finden wir ein
Verzeichnis«, sagte er. »Irgendeinen Hinweis auf die
Identität dieser Ungeheuer.«
    Ich trabte hinter Ben her und fragte mich, worauf er hinauswollte.
»Was haben Sie vor?«
    »Es ist zu abgefahren«, murmelte er.
    Die Türen zu den Überwachungseinrichtungen in der Mitte
der Etage standen offen; die durch Glaswände abgeteilten
Räume waren völlig leer. Eine dünne graue Staubschicht
bedeckte den Fußboden, so dass Bens Schuhe Spuren
hinterließen.
    Als die Lichter wieder aufflackerten, summten die Tanks wie
elektrische Bienenstöcke. Künstliches Sonnenlicht alle paar
Minuten, so regelmäßig wie ein Uhrwerk.
    »Denken Sie mal wie ein Russe«, rief Ben über seine
Schulter. »Golochow hat sich mit jeder Seite arrangiert und sie
gegeneinander ausgespielt. Wahrscheinlich hat er seine Dienste jedem
angeboten, mit geheimen Abmachungen als Rückversicherung. Wer
hat hier wen benutzt? Ich kann nicht glauben, dass dies hier
fehlgeschlagene Experimente sind. Es macht keinen Sinn, sie hier
herumliegen zu lassen; sie würden nur Platz wegnehmen und Arbeit
und Geld kosten. Sie hätten sie längst weggeschafft, wenn
es so wäre. Und ich glaube auch nicht, dass sie Freunde waren.
Wer würde seine Freunde so behandeln? Würden Sie Ihre
Freunde nicht aus diesem Elend erlösen?«
    Er schlug einen Bogen und schritt einen anderen Gang ab, wobei er
vor jedem Tank stehen blieb und die Messingschilder der Reihe nach
las. »Ich glaube, wir sind hier in einem Gulag. In einem
stählernen Gulag.«
    Er hielt inne, legte den Finger auf ein Schild und rüttelte
leicht daran. »Das könnte es sein. Herr im Himmel.«
Leise vor sich hin fluchend, zupfte er die Plastikbeine seines
Schutzanzugs zurecht und stapfte die Betonstufen hinauf.
    Das Datum auf dem Schild nach der langen Seriennummer lautete
7/3/53. Das wäre ein Jahr vor der Übergabe des Jenner
Buildings an Silk gewesen.
    Ben winkte mir, zu ihm hinaufzukommen. Gemeinsam beugten wir uns
über das rechteckige Fenster in dem Stahlzylinder.
    Der Mann, der ausgestreckt in dem Bad aus roter Flüssigkeit
lag, hatte buschige Augenbrauen, eine auffallend fleischige Nase und
einen dichten Schopf langer, nach hinten gekämmter Haare, die
wahrscheinlich einmal weiß und wellig gewesen waren, jetzt
jedoch glatt am Kopf anlagen und rosa gefärbt waren.
Zufällige Spritzer und offenbar bewusst aufgetragene Schichten
roter Gelatine klebten an seinen faltigen Wangen, dem struppigen
Schnauzbart und den geöffneten Lippen.
    Ich überlegte, ob die rote Flüssigkeit das immer noch
wachsende Haar auflöste, die Abfallprodukte entsorgte und die in
den Stahlzylindern eingeschlossenen Personen ernährte und am
Leben erhielt. Ein in sich geschlossenes System. Ich war noch
immer nicht ganz davon überzeugt, doch der Staub zwischen den
Tanks, in dem nur unsere Fußabdrücke zu sehen waren,
bewies, dass sich hier seit Jahren, vielleicht auch seit Jahrzehnten,
nur wenige oder überhaupt keine Menschen aufgehalten hatten.
    »Sieht nicht gerade glücklich aus, oder?«, sagte
Ben. »Vielleicht hat er Albträume.«
    »Und wenn schon.«
    »Zugegeben, er ist nicht in bester Verfassung.
Schließlich ist er schon über hundert und…
fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig

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