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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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mich umdrehte, um wieder hineinzugehen, hörte ich
eine Reihe schnell aufeinander folgender Explosionen. Es klang so,
als produziere jemand Popcorn in einer Stahltrommel. Ich schaute nach
achtern und sah mehrere Rauchsäulen, schwarz und von
Windböen zerzaust, von der Steuerbordseite aufsteigen. Wieder
quoll eine Rauchwolke empor, gefolgt von weiteren Explosionen.
Vielleicht war es Munition, die in einer Patronentasche hochging,
weil der Leichnam irgendeines Marinesoldaten in einem Feuer
verschmorte. Oder Silvesterkracher hatten Feuer gefangen. Ich war
kein Soldat und wollte es auch gar nicht wissen.
    Irgendwann stieß ich auf Ben, der allein an einer Zeile von
Münztelefonen stand. Er legte gerade auf, rieb sich die
Bartstoppeln am Kinn und strahlte wie ein Kind, das gerade einen Sack
voll Schokolade geschenkt bekommen hat. Er schien überrascht,
mich zu sehen.
    »He«, sagte ich.
    Er überlegte einen Augenblick. »Ich dachte, wir
hätten uns schon verabschiedet.«
    »Nicht förmlich«, sagte ich.
    Er hatte die Pistole hinter den Gürtel gesteckt. Als er sie
zog, wich ich zurück. Er setzte eine bekümmerte,
einfältige Miene auf. »Keine Angst«, sagte er
beruhigend und reichte sie mir wie ein Geschenk. »Ich hab es mir
noch mal überlegt: Ich glaube, es ist besser, wenn Sie die
nehmen. Janie wird jeden Augenblick hier sein und sie mag keine
Waffen.«
    Ich nahm die Pistole. Erleichtert streckte er die Arme hoch und
vollführte ein paar bedächtige, aber fröhliche
Tanzschritte. »Es ist so verdammt lange her. Ich vermisse
sie so sehr. Es ist mir egal, wie lange es dauert. Ich werde auf sie
warten.«
    »Ich denke, Sie sollten mit mir kommen«, sagte ich.
»Überlegen Sie es sich noch einmal, Ben.« Ich
bemühte mich, sanft zu sein. Ben war in all dem Chaos und dem
Wahnsinn eine echte Stütze gewesen und jetzt hatten sie aus ihm
ein naives, vertrauensseliges Kind gemacht. »Kommt Janie
wirklich?«
    Er schien mich nicht zu hören. Er drehte sich erneut im Kreis
und lächelte selig.
    »Ben?«
    »Gehen Sie. Ich komme schon zurecht.«
    »Na schön«, sagte ich. Golochow machte ihn –
für den Augenblick zumindest – glücklicher, als ich es
je schaffen würde. »Ich lasse euch beide ’ne Weile
allein.«
    »Ja, danke, Kumpel. Wenn sie kommt, brauchen wir eine Weile
für uns – ganz sicher. Ich mache euch später
miteinander bekannt.« Er ließ seine mächtige Pranke
auf meine Schulter krachen. »Und vergiss nicht, Prinz Hal von
mir zu grüßen. Janie hätte ihn auch
gemocht.«
    »Mach ich«, sagte ich und entfernte mich, so schnell ich
konnte.
    Selbst meine Tränen brannten und stanken wie Teer.
    Da ich mir mit Bens – und jeder anderen – Waffe selbst
nicht über den Weg traute, warf ich seine Pistole über die
Reling ins Meer und meine gleich hinterher. Nachdem das erledigt war,
machte ich mir sofort weniger Sorgen. Wenigstens würde ich jetzt
nicht den Zwang verspüren, ein einfältiges Grinsen
aufzusetzen und mir – quietschfidel wie ein Fisch in frischem
Wasser – eigenhändig das Gehirn aus dem Kopf zu blasen.
    Ich begann, die schmale Nottreppe hinaufzusteigen. Auf den ersten
sieben Decks waren die Sicherheitstüren aufgebrochen. Offenbar
hatten es die Hubschrauberbesatzungen bis hierher geschafft, bevor
sie den Einflüsterungen der Bakterien erlegen waren. Im neunten,
vielleicht auch zehnten Stockwerk entdeckte ich eine gegen ein Schott
gelehnte Messingtafel, die noch darauf wartete, dass man sie in
Augenhöhe anbrachte. Ich bückte mich und besah die Tafel
genauer: Es war ein Plan des zehnten Stocks im Aristos-Turm. Ich fuhr
mit dem Finger an den eingravierten Linien entlang: links ein
olympiataugliches Hallenbad, daneben ein kleines Pressezimmer
für Interviews mit den Zirkusartisten und interne Besprechungen,
rechts eine Turnhalle und eine Klinik für physikalische
Therapie. Ein Großteil der Tafel war mit glänzendem
schwarzem Lack überzogen: Kein öffentlicher Zutritt.
    Mir geisterte der Gedanke durch den Kopf, dass die Lemuria vermutlich sehr große Ähnlichkeit mit Montoyas
fiktivem Raumschiff hatte, das reiche Unsterbliche durch das
Universum beförderte. Blitzblank (zumindest, wenn sie vollendet
und gesäubert war) und hell beleuchtet, voller Düfte nach
Plastik, Farbe und gefilterter Luft, übersät mit
blütenweißen Bettlaken, die sich über viele Hektar
kalifornischer Kingsize- Bettenspannten, reichlich ausgestattet
mit wunderschönen Frauen, die sich vor alterslosen Hengsten
räkelten, für

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