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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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auszumachen. Sie hatte mit der
linken Hand geschrieben. Die vierzehn hingekritzelten Zahlen waren
schwer zu entziffern, doch ich versuchte es mit Raten und tippte sie
ein. Die Tasten über jeder der Zahlen rasteten ein. Bei der
zehnten Ziffer sprangen die Tasten heraus. Irritiert und wütend
schlug ich gegen den Rahmen und gab vier weitere Zahlen ein.
    »Schau mal, wer da ist. Jetzt haben wir dich«, rief
jemand hinter mir mit vergnügt trällernder Stimme.
    Das Licht blinkte grün.
    Ich zog an der Klinke. Packte sie fester. Etwas klickte und
schnappte metallisch hinter mir: gut geölter Gewehrstahl. Die
Tür war schwer und schwang langsam auf.
    Ich quetschte mich durch den Spalt. Sah am Ende des kurzen Ganges
eine weiße Steward-Jacke, darüber ein teigiges,
schwitzendes Gesicht mit dunklen Bartstoppeln und ein
glänzendes, mit silbernen Beschlägen verziertes Jagdgewehr,
dessen Lauf nach oben schwang.
    Klick.
    »Ah, verdammt! Warte nur, du Dreckskerl!«
    Eine Hand, die eine Pistole hielt, stieß um die Ecke und
drückte ab. Die Kugel erwischte mich seitlich, prallte von der
kugelsicheren Weste über meinen Rippen ab, schrammte Farbe und
Metall aus dem Schott neben mir und stieß mich wie die
große, harte Faust eines Kirmesboxers durch die Tür.
    Ich zog sie zu, drehte den Knauf, bis das Schloss einschnappte,
und machte einen Satz zur Seite, als von der anderen Seite ein
Gewehrkolben gegen die Tür krachte. Panisch herumwirbelnd,
entdeckte ich einen breiten, mit grauem Teppichboden ausgelegten
Gang, wie er in jedem modernen Krankenhaus oder
Universitätsgebäude zu finden ist. Rechts und links sah ich
geschlossene Bürotüren, an den frisch gestrichenen
Wänden nagelneue, noch unbenutzte Anschlagtafeln aus Kork und am
Ende des Ganges ein Wohn- oder Wartezimmer mit zwei blauen Sofas,
zwei roten Sesseln, einem Tisch und einem Gemälde, das die ganze
Stirnwand einnahm.
    Ich hielt den Atem an. Betastete durch das Loch in meiner Jacke
die kugelsichere Weste, fühlte die Einbuchtung unter dem Stoff
und schob den Finger durch das Austrittsloch.
    Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig…
    Ich inspizierte die kleinen, grauschwarzen Punkte auf der
Rückseite meines Ärmels: Sie stammten von den
Farbsplittern, die der Einschlag der Kugel aus der Wand gelöst
hatte.
    Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig…
    Ich hob das Knie, um das Loch in meiner Hose zu betrachten.
    »Verdammte Amateure«, knurrte ich und stieß
ein krächzendes Kichern hervor.
    Von draußen kein Laut.
    Plötzlich fünf Schläge gegen die Tür, rasch
hintereinander, so laut wie das Ausschlagen von Pferdehufen –
Gewehrkugeln. Sie versuchten, durch die Tür zu schießen.
Keine Spuren auf der Innenseite, nicht einmal leichte
Auswölbungen. Dick und gepanzert. Mein Hinterkopf schmerzte. Ich
war vor Schreck gegen die Wand geknallt.
    Ein weiterer Schlag gegen die Tür, leiser diesmal und
enttäuscht.
    Achtundzwanzig, neunundzwanzig…
    In dem Raum herrschte völlige Stille, abgesehen von dem
Ticken einer Wanduhr. Mehrere Minuten lang lehnte ich an der Wand
neben der Tür, lauschte und wartete darauf, dass sich mein
Herzschlag normalisierte. Das war alles, was ich hörte: mein
Herz und das leise Ticken der großen Uhr. Die Zeit verstrich.
Ich konnte nicht fassen, dass ich noch lebte. Ich spürte den
Schmerz in meiner Wange, ein brennendes Stechen.
    Im Wartezimmer wusch ich mir das Gesicht in einem Trinkbrunnen und
spülte vorsichtig das Blut ab. Der Riss in der Haut war nicht
sehr groß, kaum größer, als hätte ich mich beim
Rasieren geschnitten. Er war fast schon verkrustet. Ich wischte mir
die Hände an der Hose ab. Schluckte hart.
    Wieder einmal befand ich mich im Bauch des Wals, aber derzeit war
das der sicherste Ort an Bord.
    Das Wandbild zeigte die Erde in einer Dymaxion-Projektion: Es war
eine Darstellung der Weltkugel, wie sie der amerikanische Architekt
Buckminster Fuller entwickelt hatte. Der Planet war mit großen
grünen, roten und blauen Flecken übersät, vor allem in
den Ozeanen. Ich fand den Baikalsee – ein intensiv roter Fleck.
Ein weiterer roter Fleck umgab die Bahamas, die Gewässer, in
denen die Lemuria in besseren, friedlicheren Tagen
normalerweise kreuzen würde. Kleine rote Punkte im Mittelmeer,
im Toten Meer, in Westkanada, um die Galapagos-Inseln herum, in Peru
und vor der Küste Japans. Ein Bogen paralleler roter Linien wie
von Katzenkrallen entlang der Nordostküste Australiens, der das
Große Barrier-Riff

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