Jäger
Organismen im passenden Milieu, in
frischem Meerwasser und bei einem adäquaten Druck zu
stabilisieren.
Vielleicht war es ein Filmriss, eine durchgeschmorte emotionale
Sicherung, vielleicht auch nur der Schock: Jedenfalls ging es mir in
diesem Augenblick einzig und allein darum, damit anzufangen, meine
Vendobionten – falls es denn welche waren – zu untersuchen
und die Ergebnisse zu dokumentieren. Ich wollte einige Tests
durchführen, ihre winzigen Finger und Zehen zählen,
metaphorisch gesprochen.
Nicht, dass mich alles andere nicht berührt hätte. Nur
hatte ich nicht den blassesten Schimmer, wie ich Jason helfen oder
Nadia aufmuntern konnte. Jedenfalls fühlte ich mich für
das, was geschehen war, bestimmt nicht verantwortlich, so seltsam die
Umstände auch gewesen sein mochten.
Vielleicht war es die Sea Messenger, die verhext war.
Ich warf einen Blick in meine Kabine. Die füllige Agentin in
dem allzu engen Hosenanzug stand dort mit zwei Polizisten in Zivil,
die schwarze Anzüge und Regenjacken trugen.
Meine Klamotten, meine Bücher und mein Computer lagen
ausgebreitet auf dem Bett. Sie waren durchsucht worden.
»Hallo«, sagte ich.
Die junge Agentin hatte ihre Strickmütze abgenommen. Ihre
Bo-Derek-Zöpfe waren in der Tat perfekt geflochten. Sie hatte
äußerst wach blickende, unergründliche Augen und die
Haut ihres runden Gesichts glich einem makellosen Kunstwerk.
»Wir sind damit fertig«, erklärte sie und wies auf
die auf dem Bett verstreuten Kleidungsstücke. »Aber das
hier würden wir gerne behalten.«
Sie schwenkte Hand und Oberkörper herum, um auf meinen
Computer und drei Lehrbücher zu deuten.
»Die Bücher können Sie über Amazon.com
bestellen«, knurrte ich. »Und im Computer sind
persönliche Informationen gespeichert. Falls Sie keine
Beschlagnahmevollmacht haben, würde ich ihn gerne mitnehmen. Ich
stehe doch nicht unter Verdacht, oder?« Ich raffte meine wenigen
Klamotten zusammen und warf sie wütend in die Reisetasche, legte
heraushängende Ärmel und Beine zusammen und drückte
sie flach.
»Wir müssen die Beziehungen und Lebensumstände der
beteiligten Personen untersuchen«, sagte sie.
»Stehe ich unter Verdacht?«
»Nein«, räumte sie ein.
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl, der Sie
ermächtigt…«, – ich suchte nach dem korrekten
juristischen Ausdruck und gab dann auf – »… in
privaten Unterlagen herumzuschnüffeln?«
»Nein«, erwiderte sie und senkte die Lider mit
würdevoller Nonchalance über die unergründlichen
Augen.
»Ich bewahre alles ordentlich und sauber auf. Außerdem
bin ich mir sicher, dass Sie es mich wissen lassen, falls sich die
Situation ändert«, sagte ich, wobei meine Stimme angesichts
ihrer und meiner Dreistigkeit leicht zitterte. Ich warf den Computer
und die Bücher in die Reisetasche und zog den
Reißverschluss zu.
Auf dem Korridor kam ich an Nadia vorbei, als ich meine Tasche auf
ihren Rädern in Richtung der Gangway zog. Sie rauchte eine
Zigarette und sah völlig fertig aus. Sie blickte in meine
Richtung, dann rasch zur Seite und drückte ihre Zigarette in
einer kleinen Blechdose aus.
Ich hatte sie noch nie mit einer Zigarette gesehen.
»Ich werde nicht sagen, dass es mir eine Freude war«,
erklärte sie.
Ich blieb stehen, sah sie traurig an, noch immer aufgebracht wegen
der Szene in meiner Kabine, und nahm die Tasche in die rechte Hand.
»Ich komme mir vor wie ein gottverdammter
Unglücksbringer«, sagte ich und merkte, wie mir Tränen
in die Augen stiegen. »Verdammt noch mal, was habe ich denn
getan?«
»Nichts«, gab Nadia zurück.
»Ich habe keine Ahnung, warum Dave im Tauchboot ausgerastet
ist oder warum Mauritz mich umbringen wollte. Wirklich
nicht.«
Sie hatte das Gesicht den Schatten und kahlen, grauen
Betonflächen der Docks zugewandt. Ich musste an all die Frauen
in meinem Leben denken, die hartnäckig versucht hatten, mich zur
Seite zu schieben, in Schubladen zu stecken oder mir, ob berechtigt
oder nicht, irgendwelche Dinge anzulasten.
»Das ist alles total verrückt«, knurrte ich und zog
meine lächerliche kleine Tasche zur Gangway hinüber.
»Betty Shun will mit Ihnen sprechen«, bemerkte Nadia und
stieß die Information wie eine Beleidigung hervor. Du sollst
ins Büro des Rektors kommen.
Ich drehte mich um und sah Nadia, die sich gerade eine weitere
Zigarette ansteckte, mit großen Augen an.
Unsere Generation hatte Dean Martin und Frank Sinatra in sich
aufgesogen, billige Taschenbücher gelesen, schwarze
Weitere Kostenlose Bücher