Jäger
der richtige
Ort noch die richtige Zeit, um loszuheulen.
Finn zog ein weiteres Blatt von dem Stapel näher zu sich
heran und überflog es mit seinen blassblauen Augen. »Jede
Menge seltsames Verhalten. Und was die Suche nach einem Motiv angeht,
tappen wir völlig im Dunkeln.«
»Ich bezweifle, dass Nadia Evans das Essen auf der Sea
Messenger vergiftet hat«, erklärte ich.
»Sie ist sehr attraktiv, nicht?«, bemerkte Finn.
»Hat Mauritz Nadia vielleicht beneidet?«, fragte
Keeper.
Finn war auch von dieser Frage wenig beeindruckt. Er wedelte sie
beiseite, ordnete die Papiere auf dem Tisch und zog einen Stuhl
näher an meinen heran, ehe er Platz nahm und die Hände
feierlich vor sich verschränkte.
»Was würden Sie tun, um eine Gemeinschaft zu
bösartigem Verhalten anzustiften?«, fragte er. »Doch
sicher nicht das Essen vergiften, oder?«
»Hypnose«, schlug Keeper vor und umfasste sein Knie mit
den großen, rauen Händen. Als Finn fast unmerklich die
Stirn runzelte, streckte Keeper die Hände mit abgespreizten
Daumen vor, als wolle er signalisieren, dass er kapitulierte.
»War das Essen denn vergiftet?«, fragte ich in
dem Versuch, bei diesem seltsamen Rollenspiel der Polizisten
mitzumischen.
»Das FBI-Labor sagt Nein. Im Essen auf dem Schiff hat man
weder Krankheitserreger noch irgendwelche Gifte gefunden.
Außerdem war Mrs. Mauritz bereits tot, bevor das Schiff
auslief.«
»Drogen?«, fragte ich. Ich wollte nicht den Eindruck
erwecken, dass ich schon früher auf diesen Gedanken gekommen
war, und tat deshalb so, als sei mir dies alles völlig neu.
Finn schien gegen den Rollentausch nichts einzuwenden zu haben.
»Keine Drogen, die wir nachweisen könnten.« Er wandte
das Gesicht dem Fenster zu. Offenbar fand er sich allmählich mit
der Erkenntnis ab, dass sie in diesem Fall nicht einen Schritt
weitergekommen waren.
Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass sie mich eher als
Informationsquelle denn als Verdächtigen betrachteten, obwohl
sich Keeper nach wie vor alle Mühe gab, mich mit seinen
finsteren Blicken unter Druck zu setzen.
»Das FBI scheint die Angelegenheit auf kleiner Flamme kochen
zu wollen«, brummte Finn. »Wir hier in Seattle können
auch keine größeren Schritte machen als das FBI. Uns
interessiert vorrangig, was in unsere Zuständigkeit fällt.
Ich kann mich nicht auch noch um Verbrechen kümmern, die auf See
oder in anderen Staaten verübt werden, außer wenn sie uns
bei den Ermittlungen in unserem eigenen Mordfall weiterbringen. Dr.
Mauritz ist, offen gesagt, ein bemitleidenswerter Mann – ein
Fall für den Psychiater. Er kann sich weder an das erinnern, was
auf dem Schiff passiert ist, noch an die Vorkommnisse bei ihm zu
Hause. Wir werden trotzdem Anklage erheben, das FBI vermutlich
ebenfalls, aber ich bezweifle, dass es irgendjemanden glücklich
machen wird.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen weiterhelfen«,
sagte ich.
»Ich auch«, erwiderte Finn und gab mir mit einem Winken
zu verstehen, dass die Vernehmung beendet war. »Sie können
gehen, Doktor. Das mit Ihrem Bruder tut mir Leid. Es ist eine
verrückte, miese Welt da draußen. Falls Sie irgendetwas
von Interesse hören, lassen Sie es uns wissen. Ein bisschen
Aufmunterung könnten wir gut brauchen.«
»Ein langes und glückliches Leben, Spock«, gab mir
Keeper, der in seiner Ecke sitzen geblieben war, durchtrieben
lächelnd mit auf den Weg.
Kapitel 18
27. Juni – Coral Gables, Florida
Lissa warf ihren breitrandigen, schwarzen Sonnenhut auf den dunkel
gebeizten Esstisch aus Ahorn. »Zur Hölle mit allem«,
murmelte sie und hob ihre Finger, als wollte sie an einer Zigarette
ziehen. Mit den langen, in dezentem Perlmutt-Ton lackierten
Fingernägeln berührte sie ihre rosa geschminkten Lippen und
streifte mich mit einem flüchtigen Blick, um zu sehen, was ich
von ihrem Gebaren hielt. Nicht, dass es ihr in irgendeiner Weise
wichtig war. »Er hat was Besseres verdient. Er hat was viel
Besseres verdient.«
Ich sah keine Veranlassung, ihr zu widersprechen. Noch nie in
meinem Leben hatte ich die Tatsache, dass wir sterblich sind, als
derart brutalen Schock empfunden – nicht einmal, als Dad
gestorben war. Ich hatte soeben meinen genetischen Doppelgänger
beerdigt.
Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass Rob in einem
lächerlichen wasserdichten Sarg aus aztekischer Bronze
beigesetzt wurde. Bei der Beerdigung hatten wir in der gnadenlos
stechenden Sonne zugesehen, wie die glänzende, versiegelte
Fleischkonserve
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