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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Biere. Eines reichte
ich dem Bestattungsunternehmer, einem schwarzhaarigen Burschen mit
bewundernswerten Wangenknochen, der ein paar Jahre jünger war
als ich.
    Lissa war im Augenblick irgendwo anders, ich hatte nicht einmal
bemerkt, dass sie den Raum verlassen hatte.
    »Beerdigungen bei heißem Wetter sind das Schlimmste
überhaupt«, vertraute mir der Bestattungsunternehmer an.
»Man fühlt sich so lebendig in der Hitze. Und das schmerzt
uns in den Stunden der Dämmerung, wenn die Luft abkühlt und
wir an die weite, tiefe Erde erinnert werden.«
    Mir blieb wenig Zeit, auf diesen surrealen Ausbruch von Eloquenz
zu antworten, denn in diesem Moment kam Lissa mit Mutter am Arm in
die Küche zurück.
    »Lissa hat mir erzählt, dass die beiden daran gedacht
haben, es wieder miteinander zu versuchen«, sagte Mom, als
würde das einen Unterschied machen, als könnte diese
bizarre und vermutlich nett gemeinte, unschuldige kleine Lüge
irgendetwas daran ändern, dass Rob in einem wasserdichten Sarg
aus aztekischer Bronze für immer in der weiten, tiefen Erde
lag.
    Wir sahen zu, wie Mutter dem Bestattungsunternehmer für seine
Hilfe dankte. Ich begleitete ihn nach draußen zu seiner
Limousine, die er hinter der Garage geparkt hatte.
    Er zog das Jackett aus und legte es auf die vordere Sitzbank des
Lincoln. »Manchmal«, sagte er, »geben mir Mütter
ein Trinkgeld, wenn der Trauergottesdienst vorbei ist und die Leute
vom Partyservice gegangen sind. Ich muss es leider dankend
ablehnen.« Er lächelte und schüttelte traurig, doch
verständnisvoll den Kopf.
    Er muss mich wohl für einen von der robusteren Sorte gehalten
haben, imstande, sich die Anekdoten aus seinem Berufsleben mit
amüsierter Distanz anzuhören. Ich hasste dieses
selbstgefällige Arschloch. Er hatte Rob als Toten gesehen.
    Als ich in unserem alten Zimmer lag, dem letzten Zimmer, das wir
miteinander geteilt hatten, und dem nächtlichen Wind lauschte,
der in den Palmen im Hinterhof raschelte und unsichtbar durch ganz
Florida tanzte, konnte ich nicht anders, als mir das Allerschlimmste
auszumalen.
    Sie haben ihn aufgeschnitten, sein zerquetschtes Gehirn
herausgenommen und später wieder zurückgestopft. Vielleicht
haben sie sich nicht einmal diese Mühe gemacht und seine
Gehirnschale ist leer, jedenfalls wird dieses Uhrwerk nie wieder
laufen. Genauso wenig wie dieser Junge.
    •
    Am frühen Morgen erwachte ich aus einem Traum, der von
schrecklich gewundenen Rohrleitungen in riesigen Badezimmern
gehandelt hatte. Gleich darauf schlurfte ich zur Toilette, um mich zu
erleichtern. Vom Gang aus sah ich meine Mutter und Lissa in den
abgenutzten, zerschlissenen Rattansesseln im Wohnzimmer sitzen. Sie
mussten wohl die ganze Nacht aufgeblieben sein. Mutter, die mir den
Rücken zuwandte, unterhielt sich mit Lissa über Rob.
    »Wie sie miteinander gerauft haben«, sagte sie zum
zehntausendsten Mal. »Manchmal, wenn ihr Vater nicht zu Hause
war, wagte ich nicht einmal dazwischenzugehen. Sie waren wie zwei
Wildkatzen. Mit drei Jahren waren sie ganz verrückt darauf, dass
ich ihnen vorlas. Die einzige Möglichkeit, sie vom Raufen
abzuhalten, war, ein paar Bilderbücher hervorzuholen. Wenn ich
rief: Hört jetzt auf sofort Schluss – wie
wär’s mit ’nem Besuch bei Dr. Seuss?, kamen sie
gleich angerannt und kuschelten sich wie zwei Lämmchen auf
meinen Schoß. Dann war jeder Streit sofort vergessen.«
    Als Lissa aufblickte, sah sie mich im Flur stehen. Mit der
Morgenlatte, die meine Boxershorts ausbeulte, kam ich mir wie ein
Zehnjähriger vor, der mit der Hand im Hosenlatz ertappt wird.
Ihre Augen weiteten sich ein wenig, dann wandte sie den Blick langsam
ab, um die Nachtwache gemeinsam mit meiner Mutter fortzusetzen.
    Frauen halten wirklich zusammen.

 
Kapitel 19
     
Juli – Berkeley, Kalifornien
     
    Die Anfragen für Interviews wurden weniger und versiegten
schließlich ganz. Die Katastrophe auf der Sea Messenger wurde zur alten Kamelle, und wenn alte Kamellen nicht durch einen
pikanten Beigeschmack aufgefrischt werden, sind sie nichts als
ausgelutscht. Mauritz war durchgedreht und hatte auf einem Schiff
herumgeballert. Besatzungsmitglieder hatten sich seltsam benommen,
Dave Press war ertrunken, ein paar Biologen, einschließlich
Rob, waren ermordet worden. Aber abgesehen von Mauritz gab es weder
Verhaftungen noch Verdächtige. Ende der Fahnenstange.
    Ich verdrückte mich still und leise aus Coral Gables, kehrte
an die Westküste zurück, räumte meine schäbige
kleine

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