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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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mir zu Ohren kam) und ein zweites Mal
abgelehnt worden. Damit waren all meine Verbindungen zur Wissenschaft
gekappt, meine Spuren ausgelöscht.
    Schließlich musste ich mich damit begnügen, voller
Sehnsucht durch das Zentrum für Biotechnologie und das
Supercomputer-Labor des Campus zu streifen und mir dabei
vorzustellen, ich sei nach wie vor ein respektierter, mit
ausreichenden Geldmitteln ausgestatteter Wissenschaftler. Ich malte
mir aus, wie mir eine stattliche Schar von Assistenten zuarbeitete
und nachhakte, wenn meine Argumentation Schwachstellen aufwies.
    Nach einigen Wochen herrschte auf meinem Bankkonto
gefährliche Ebbe. Ich sparte beim Einkaufen, aß wenig und
redete mir ein, die verminderte Nahrungszufuhr habe zumindest den
Vorteil, den Alterungsprozess zu verzögern. Ein paar Tage lang
machte ich mir vor, ich sei mein eigenes Labor, mein eigenes
Experiment, zeichnete meine Erfahrungen auf, trug den Gewichtsverlust
in Tabellen ein, fertigte Diagramme der Stimmungsschwankungen an. Es
ging so weit, dass ich das Ablaufsieb der kleinen Duschkabine leerte
und die Haare, die mir ausgingen, durchzählte. Kurzum: Ich
versuchte das Beste aus meiner Situation zu machen.
    AY3000 hatte zwanzig Jahre lang gehungert. Sein Sexualtrieb war
auf null gesunken, was Bettina, seine Frau, nicht sonderlich
gestört hatte. Reduzierte Kalorienaufnahme hatte bei Ratten den
Alterungsprozess verzögert. Möglicherweise hat sie auch
dazu beigetragen, die Lebensspanne bei Überlebenden von
Konzentrationslagern zu verlängern. Auf seine verrückte Art
hatte AY viele von uns inspiriert. Und jetzt lag er im Sterben und
rief alle möglichen Leute an, um sie mit Drohungen zu
überschütten – kaum ein ermutigendes Beispiel, wenn
ich am Abend hungrig zu Bett ging.
    Ich stand kurz davor, den Mut zu verlieren. Meine Perspektiven
hatte ich bereits verloren. Meine Briefe blieben unbeantwortet, meine
Telefonanrufe brachten mich nicht weiter.
    Dem Alterungsprozess entgegenzuwirken ist in manchen Kreisen keine
sonderlich angesehene Tätigkeit. Viele glauben, wir sollten uns
mit einer Stippvisite im Land der Lebenden begnügen. Demnach
verletzt ein allzu langes Leben das Gebot Gottes. Wer hätte
gedacht, dass liberale Akademiker, selbst Naturwissenschaftler,
insgeheim den Zorn Jehovas fürchten?
    Ich fragte mich, was Rob jetzt von mir halten würde. Meine
Abgeschiedenheit führte dazu, dass ich nachgiebiger wurde und
mehr nach innen lauschte.
    Jetzt hätte ich einen Bruder gebraucht, der mir kräftig
eins auf die Nase gab.
    •
    Auf einem meiner seltenen Ausflüge zum Star
Grocery-Supermarkt auf der Claremont Avenue sah ich zwei schlanke,
drahtige Männer in der Nähe einer Bushaltestelle stehen.
Beide trugen graue Sportjacken und weite, graue Hosen, beide hatten
kurze dunkelbraune Haare und interessante, länglich geschnittene
Gesichter. Sie wirkten so leichtfüßig und beweglich wie
Schauspieler oder Zirkusartisten. Einer der beiden trug eine
Baskenmütze. Als ich vorüberging, streifte mich der andere
durch die kleinen, dunklen Gläser seiner Sonnenbrille mit einem
flüchtigen Blick. Gleich darauf stieß er seinen Begleiter
mit dem Ellbogen an, der diesen Stoß sofort erwiderte. Danach
taten beide so, als sei ich Luft.
    So etwas passiert in Berkeley alle Tage.
    Im Supermarkt roch es nach teuren frischen Pfirsichen, Obstkisten
aus Fichtenholz, Möhren, Geschirrspülmittel und tausend
anderen Dingen des täglichen Bedarfs. Ich kaufte lediglich vier
Äpfel, vier Bananen, zwei Packungen eingefrorenen Orangensaft,
ein Pfund Truthahnschinken, zwei Laib Brot, eine Tüte Reis,
Mayonnaise und ein paar Oliven. Als ich mein Kleingeld herauskramte,
fielen einige Geldstücke auf den schmutzigen Linoleumboden.
    Ich hob sie auf, richtete mich auf und legte die fehlenden sechs
Cents zu meinem Zwanziger.
    Während ich der Kassiererin meine Hand entgegenstreckte, weil
ich noch drei Dollar herausbekam, drängte sich ein kleiner Mann
mit platt gedrückter Nase und dichtem schwarzem Haar zwischen
den Kassen hindurch und rempelte mich in der Eile so an, dass mir
weiteres Wechselgeld auf den Boden entglitt.
    Der Mann hielt eine nicht etikettierte Sprühflasche so fest
umklammert, dass sich der weiche Kunststoff unter seinen Fingern
eindellte und dicke Tropfen einer klaren Flüssigkeit
herausspritzten.
    Ein junger, vollkommen kahler, pickelgesichtiger Angestellter des
Supermarkts rannte hinter ihm her. »Machen Sie, dass Sie von
hier verschwinden, verdammt noch mal.

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