Jäger
Und kommen Sie bloß nicht
wieder!«, brüllte der kahle Jüngling und holte mit dem
stiefelbewehrten Fuß zu einem Tritt aus, das pickelige Gesicht
zu einer angewiderten Grimasse verzerrt. Aber der Stiefel verfehlte
sein Ziel, so dass der kleine Mann durch die zurückgleitende
Doppeltür entwischen konnte.
Der Angestellte, an dessen Nasenflügeln und Ohren ein ganzes
Arsenal von Ringen baumelte, wirbelte herum, um seine wütend
blitzenden Augen auf die Kassiererin und dann auf mich zu richten.
»Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise«, sagte er,
»aber jetzt muss ich sämtlichen Kopfsalat
rausschmeißen.« Er hob die Hand, als halte er eine Pistole
in der Faust, krümmte zweimal schnell den Finger und machte dazu pfft-pfft. »Mrs. Lo bringt mich um.«
»Ich habe ihn hier schon mal gesehen«, erklärte
eine füllige rothaarige Frau jenseits der fünfzig, hievte
dabei ihren Stoffbeutel auf den Tresen und griff prüfend in
einen herrlich grünen Salatkopf, als sei er ein großes
Insekt. »Ich dachte, er arbeitet hier.«
»Er ist mir nie aufgefallen«, sagte die junge
Kassiererin, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte
über die Zigaretten-Vitrine hinweg. Der kleine Mann war
verschwunden.
»Verdammter Mist«, fluchte der junge Mann, um sich
gleich darauf erneut zu entschuldigen.
Ich schüttelte den Kopf, kein Problem: So etwas passiert in
Berkeley alle Tage.
In dieser Nacht träumte ich von dem kleinen Mann: Er
sprühte Wasser auf alles, was ihm vor die Düse kam, die
ganze Stadt schrumpfte zusammen. Das Claremont-Hotel stand in
Flammen. In der Hitze des Feuers schmolzen die prächtigen alten
Häuser von Berkeley wie Wachs dahin. Dann war ich wieder in der
Wüste und ging neben dem Mann mit dem weißen Haarschopf
her.
Der Mann war mein Vater. Und er versuchte, mir etwas Wichtiges
mitzuteilen. Etwas über Rob.
•
Die Woche, in der die Hölle losbrach, fing durchaus himmlisch
an: Mein Freund an der University of San Francisco rief mich an, um
mir mitzuteilen, dass am 8. August auf dem Clark Kerr Campus der UC
Berkeley eine Konferenz der Promethianer stattfinden würde. Er
hatte der Konferenzleitung, Phil Castler und seiner Frau Frieda, eine
Einladung für mich abgeschwatzt. Übrigens handelte es sich
um eben jenen Phil Castler, der bei Owen Montoya nicht hatte landen
können.
Die Promethianer sind Visionäre, in mancher Hinsicht naiv, in
anderer unserer Zeit weit voraus. Phil Castler selbst vereinigte in
sich Ernsthaftigkeit und Sensibilität bei großen
politischen Fragen und einen fast kindlichen Fortschrittsglauben,
eine Begeisterung, die ich früher einmal mit ihm geteilt hatte
und nach der ich mich nun verzweifelt sehnte.
Promethianer waren vor allem daran interessiert, einander
zuzuhören, Informationen auszutauschen und ihre Begeisterung
miteinander zu teilen – Ideen waren ihre gemeinsame
Währung. Sie waren meine Familie, meine Freunde, auch wenn wir
um Forschungsgelder konkurrierten, auch wenn wir oft
unterschiedlicher Meinung waren.
Castlers Einladung und ein Namensschild für die Konferenz
trafen am nächsten Morgen mit der Post ein, zusammen mit einer
rasch hingeworfenen, an die letzten Rundbriefe geklammerten Notiz von
Frieda: »Wo haben Sie nur gesteckt? Phil und ich sind
gespannt darauf, von Ihnen viele Neuigkeiten zu
erfahren!«
Noch nie im Leben hatte ich mich so sehr auf eine Konferenz
gefreut. Von diesem Treffen erwartete ich mir die Rückkehr in
die Wirklichkeit.
•
Ich erspähte Phil in dem gefliesten Säulengang vor dem
wunderschönen, im spanischen Missionsstil errichteten J. W.
Krutch-Auditorium. Phil, der über dem weißen Hemd eine
offene gelbe Strickjacke trug, außerdem bequeme grauen Hosen
und abgetragene schwarze Schuhe, unterhielt sich gerade mit einem
fülligen jungen Mann in Jeans und schwarzer Lederjacke. Es
schien ein intensives Gespräch zu sein, denn der junge Mann
stieß mit einem Finger nachdrücklich in die Luft,
während sich Castler auf den Absätzen wiegte und so
aufmerksam zuhörte, als habe jedes einzelne Wort großes
Gewicht.
In den entscheidenden Momenten senkte er den Kopf zu einem
professoralen, fast hoheitsvollen Nicken, wie ich es des Öfteren
bei älteren Wissenschaftlern aus Europa beobachtet habe. Castler
war allerdings in Amerika geboren und aufgewachsen; es war seine
Persönlichkeit, die einen an die Alte Welt und höfische
Sitten denken ließ.
Ein bewaffneter Mann vom Sicherheitsdienst stand wie ein
Schutzgeist aus orientalischen
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