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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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verzog er das Gesicht – ein stummer Kommentar
angesichts meiner Naivität. »Ich habe AY unter den
Zuhörern gesehen«, erklärte er, als sei ihm daran
gelegen, das Thema zu wechseln. »Hat er etwas zu Ihnen
gesagt?«
    »Er stirbt«, sagte ich und bewegte die Schultern, weil
mir ein Schauer über den Rücken lief. »Etwas
darüber, dass er nur noch zum Faktotum für irgendjemanden
tauge.«
    K gab ein ironisches Schnauben von sich. »Hat er Silk
erwähnt?«
    »Silk?« Nicht Silt, dachte ich.
    »Silk«, bestätigte er.
    »Nein.«
    »Dann weiß er auch nichts. Das sind diejenigen, die
Menschen manipulieren«, sagte K. »Die wahren Illuminaten.
Ich habe in den letzten fünfzehn Jahren versucht, ihre
Geschichte genauer zu beleuchten. Die verdammten Juden haben mir bei
jedem Schritt Knüppel zwischen die Beine geworfen.«
    Ich fixierte ihn kühl und spielte mit dem Gedanken, einfach
aufzustehen und zu gehen. Ein Problem mit Liberalen, Freidenkern,
elitären Wissenschaftlern und anderen ausgeprägten
Individualisten ist, dass eine kleine, aber nicht unbedeutende Gruppe
von ihnen seltsame, mitunter auch recht üble Ansichten über
andere Rassen und Religionen hegt. Wenn man sich den Inhalt von
Richard Herrnsteins und Charles Murrays Buch The Bell Curve vergegenwärtigt, weiß man in etwa, welchen Typ Mensch
ich meine.
    »Sind Sie sicher, dass wir irgendetwas zu bereden
haben?«
    »Ihr Bruder war der Ansicht«, entgegnete K, während
sein Gesicht sich verhärtete. »Er hat Ihnen geraten, mit
mir zu sprechen, hab ich Recht?«
    »Mein Bruder hat sein Leben geführt – und ich
führe meines.«
    Die Bedienung brachte unsere Getränke. Ich hatte einen Scotch
bestellt, etwas, das ich mochte, mir aber selten gönnte. K
kippte seinen Bourbon mit einem Ruck hinunter, öffnete eine
Flasche Club-Soda, wobei er auf das Zischen der entweichenden
Kohlensäure lauschte, und trank sie ebenfalls in einem Zug
leer.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte K und
wölbte die dunklen, theatralischen Brauen in einer Weise, die an
Errol Flynn erinnerte. »Die Juden werden auch nur benutzt.«
Seine Gesichtszüge schienen zu schmelzen, wie bei einem jungen
Hund, der Schelte von seinem Herrn bekommt. Eine aufwallende
Traurigkeit verschleierte seinen Blick, und seine Lippen zuckten,
wodurch es ihm schwer fiel, die Worte richtig herauszubringen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Das ist ein
nervöser Tick. Sie werden sich daran gewöhnen. Er verfolgt
mich seit zwanzig Jahren. Hat mir mein ganzes beschissenes Leben
versaut.«
    Genauso unvermittelt, wie er verschwunden war, kehrte der
gewiefte, selbstsichere Ausdruck auf sein Gesicht zurück. Die
Verwandlung war verblüffend. »Wir werden Schritt für
Schritt vorgehen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Haben
Sie eine Ahnung, wer ich bin?«
    »Ich weiß nur, dass Sie K heißen«, erwiderte
ich. »Wie der Typ in Der Prozess.«
    »Mehr hat Ihnen Ihr Bruder nicht gesagt?«
    »Nein.«
    »Wie nahe sind Sie Ihrem Ziel, Dr. Cousins?«
    Ich musterte einen Moment lang sein Gesicht und überlegte, ob
ich lügen oder die Wahrheit sagen sollte. »Ziemlich
nahe«, sagte ich. »Ein paar Jahre noch, vielleicht
weniger.«
    »Rob war am Baikalsee. Er ist in New York ums Leben gekommen.
Haben Sie eine Ahnung, was das bedeutet?«
    »Nein.«
    »Es gibt einen Krieg«, sagte K. »Und Ihr Bruder
steckte mittendrin – als Zielscheibe, wegen seiner
Forschungen.«
    »Rob und ich forschen… haben auf dem Gebiet der
Lebensverlängerung geforscht. Ich weiß, das ist ein
Reizthema, aber weshalb befinden wir uns deshalb schon in einem
Krieg?«
    »Ich bin kein Naturwissenschaftler. Ich bin Historiker. Ihr
Bruder hat mich gebeten, Ihnen etwas zu übergeben. Es war
praktisch sein letzter Wunsch… an mich.« Er zog ein Paket
unter dem Jackett hervor und legte es auf den Tisch: ein etwa zwanzig
mal dreißig Zentimeter großes, braunes, bis zum Bersten
gefülltes Papiercouvert, das mit einem glänzenden
Zellophanklebeband verschlossen war. Er schob den Umschlag über
den Tisch. Quer über die Vorderseite war mit Filzstift in Robs
eckiger Handschrift geschrieben: Nur für Prinz Hal. Aus dem
vernichtenden Schlund geborgen. Für dich, Bruder. Mit
aufrichtiger Liebe und Hochachtung. Rob Cousins.
    Die schwungvolle Unterschrift stammte eindeutig von Rob, auch wenn
sie zackiger wirkte, als ich sie in Erinnerung hatte.
    »Wie Sie sehen…«
    »Bitte«, murmelte ich. Mir wurde die Kehle eng und meine
Augen füllten sich mit

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