Jäger
war im Laufe der Jahre durch
Sonne, Regen und Vernachlässigung in ein Waschbrett verwandelt
worden. Lissa jagte den Toyota mit siebzig Stundenkilometern
darüber hinweg, so dass unsere Zähne aufeinander schlugen.
»Was hoffst du dort zu finden?«, fragte sie.
»Ich hoffe auf gar nichts«, sagte ich. »Außer
vielleicht darauf, dass dies alles nur ein Traum ist.«
Telegrafenmasten säumten die Straße. Noch immer
führten Stromleitungen nach Thuringia, obwohl es auf der
Landkarte nicht mehr verzeichnet war.
Lissa nahm den Fuß vom Gas und steuerte den Wagen um ein
besonders tiefes Schlagloch herum. »Glaubst du, dass wir dort
auf etwas Schlimmes stoßen?«
»Ich hab keine Ahnung«, erwiderte ich. Aber die
Aufschrift des Transparents auf dem Zeitungsfoto verfolgte mich: WIR
BIETEN AMERIKA NUR DAS ALLERBESTE: THURINGIA NÜSSE FRÜCHTE
GEBÄCK. Ich konnte mir die Anzeigen auf den letzten Seiten von National Geographic und Sunset in den
Fünfzigerjahren vorstellen: Bestellen Sie per Post Obst und
Nüsse aus Kalifornien.
»Was, wenn er alles nur erfunden hat?«, fragte Lissa
hoffnungsvoll.
»Dann kehren wir um und fahren nach San José. Suchen
nach Beweisen, dass Rob nicht mehr richtig im Kopf war.«
Für Lissa schien das, was ich sagte, ein Stichwort zu sein.
Sie redete sehr schnell. »Auf der letzten Reise, die wir
zusammen machten, ehe wir uns trennten, wollte Rob mir etwas in San
Francisco zeigen. Von Santa Monica fuhren wir zu einer Salzfarm in
South Bay. Nachdem wir die Dumbarton Bridge überquert hatten,
landeten wir auf einer unbefestigten Straße, die auf einem Damm
entlang führte. Überall um uns herum waren diese
großen, viereckigen Weiher mit rosafarbenem Wasser. Es waren
Entwässerungsanlagen zur Salzgewinnung. Rob erzählte mir,
sie seien voller Bakterien. Halophile nannte er sie.«
»Die lieben Salz«, erklärte ich.
»Das weiß ich.« Sie zog die Stirn kraus,
nahm den Blick jedoch nicht von der Straße. »Wir blieben
neben dem Wagen auf diesem Damm stehen. Es stank entsetzlich und
überall waren Fliegen. Ich fragte mich, ob ich je wieder Salz
verwenden würde. Weißt du, was er mich gefragt
hat?«
Ich hätte schwören können, dass sie mich – wie
einen Zeugen im Kreuzverhör – auf Glatteis führen
wollte. Vielleicht wusste sie schon Bescheid, vielleicht hatte Rob
ihr mehr erzählt, als sie zugab, und sie versuchte gerade
herauszufinden, wie weit mein Wissen reichte. Ich schüttelte den
Kopf.
»Er wollte wissen, ob ich mich je gefragt hätte, was das
älteste Bewusstsein auf Erden ist.«
»Oh… Wirklich?«, murmelte ich.
»Rob deutete auf die Teiche. Dort ist es. Ich frage mich,
was es gerade denkt, sagte er. Ich frage mich, ob es
wütend auf uns ist. Das machte mir wirklich Angst. Eine so
lange Fahrt, nur um auf irgendwelche stinkenden Salzteiche zu
glotzen. Wir hatten einen heftigen Streit an dem Abend und ein paar
Wochen später haben wir uns getrennt. Aber ich war es nicht, die
sich scheiden lassen wollte. Es war Rob.«
»Das tut mir Leid.«
»Was hat er damit gemeint?«, fragte sie.
»Ich nehme an, er wollte damit sagen, dass Bakterien
miteinander sprechen.«
»Das ist doch Blödsinn«, erwiderte sie und warf mir
einen zweifelnden Blick zu. »Tun sie das wirklich?«
»Ja«, sagte ich. »Aber nicht so, wie wir jetzt miteinander reden. Sie tauschen genetisches Material,
Plasmide und chemische Substanzen miteinander aus.«
»Wie ein Gehirn?«, fragte Lissa.
»Vielleicht.«
»Macht dir das keine Angst? Mir schon. Es gibt so viele von
ihnen. Wenn sie uns hassen, werden sie gewinnen.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Es gibt inzwischen so viele
Dinge, die mir Angst machen«, sagte ich. »Ich versuche,
nicht an alle zugleich zu denken.«
Lissa trat abrupt auf die Bremse und schob den Schalthebel in den
Leerlauf. Vor uns, in einer Senke zwischen den von der Sonne
ausgedörrten Hügeln, lag ein hingeducktes, braunes
Kaff.
»Siehe da: das Touristenmekka Thuringia!«, rief ich.
Das Duett von Motor und Klimaanlage, vorgetragen mit japanischer
Präzision, hatte in dieser Hitze höchste Tonlagen erreicht
und drang durch Berg und Tal.
»Mir gefällt das nicht«, erklärte Lissa mit
bleichem Gesicht. Die Nervosität trieb ihr glitzernde
Schweißperlen auf die Oberlippe.
»Du kannst ja hier bleiben. Ich gehe zu Fuß«, bot
ich ihr an.
Sie dachte eine Weile darüber nach. »Nein«,
entschied sie.
»Wir tun es für Rob«, sagte ich.
»Ich habe für Rob schon eine Menge
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