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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Gegenwirkungen von Antibiotika gedacht?«
    »In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des letzten
Jahrhunderts gab es sehr wenige Antibiotika. Lediglich
Sulfonamide.«
    »Dr. Mabuse leitet also diesen kleinen Flohzirkus von bestens
ausgebildeten Meisterspionen – nur, dass es Bakterien
sind«, sagte Lissa. »Und Antibiotika sorgen dafür,
dass sie auf ihren kleinen Trapezen ins Schleudern kommen. Mein
Gott, kreischen sie, während ihnen die Augen – haben
Bakterien Augen? – vor Staunen schier aus dem Kopf quellen. Wie
praktisch.«
    Ich grinste. »Bosche moi kreischen sie, falls es
Russen sind. Nach acht Tagen werden wir ja sehen, was passiert«,
sagte ich. »Dann sind meine Antibiotika aufgebraucht.«
    Die Unterhaltung war derart verrückt und absurd, dass sie
einiges von dem Eis zwischen uns brach. Lissa hob die Arme und
streckte sich genüsslich, soweit es der Verkehr erlaubte, dann
gähnte sie ausgiebig, doch nicht aus Müdigkeit, sondern um
Anspannung und Stress loszuwerden.
    »Rob hat diesen Umschlag Banning gegeben, damit er ihn an
dich weiterleitet?«, fragte Lissa argwöhnisch.
    »Ja.«
    »Bist du sicher, dass er von Rob stammt?«
    »Ich kenne seine Schrift. Du kannst die Aufzeichnungen lesen,
wenn du willst.«
    »Heißt das, dass du dich dazu durchgerungen hast, mir
zu vertrauen?«, erkundigte sich Lissa mit fast wehmütigem
Gesichtsausdruck. Sie hielt den Blick auf die Straße gerichtet.
Der Verkehr wurde dichter und ging nur noch stockend voran. Er
forderte ihre ganze Aufmerksamkeit.
    Als sich ein roter Honda mit winzigen Reifen, in dem drei junge
Burschen mit nach hinten gedrehten Baseballkappen saßen, ohne
Blinkzeichen vor uns in die Schlange drängte, hupte sie
ärgerlich und trat gleichzeitig auf die Bremse.
    »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, erklärte
ich. »Wenn das, worüber er geschrieben hat, wirklich
passiert ist, wenn ich zwei und zwei richtig zusammenzähle, wenn
das, was Banning sagt, einen Sinn ergibt, wenn das, was AY mir
zugeflüstert hat…«
    »AY?«, unterbrach Lissa.
    »Rob hat dir nicht viel über seine Arbeit erzählt,
oder?«
    »In letzter Zeit nicht. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen,
wie er immer mehr verfiel. Was für ein Antibiotikum nimmst
du?«, fragte sie.
    »Integumycin. Es ist neu.«
    »Ich bin überrascht, dass Antibiotika überhaupt
noch wirken. Es gibt inzwischen so viele resistente Bakterien. Fast
so, als hätten sie es auf uns abgesehen.«
    »Ja«, sagte ich. »Wohin fahren wir
überhaupt?«
    »Es ist jetzt Punkt elf; derzeit fahren wir nirgendwohin,
denn wir stehen auf der 101 im Stau, wie du vielleicht gemerkt
hast.«
    »Ich habe Robs Schlüssel«, bemerkte ich. »Und
eine Karte.« Ich zog die Landkarte aus dem Umschlag und breitete
sie auf meinem Schoß auf. Ein aus einer alten Zeitung
ausgeschnittenes vergilbtes Foto fiel heraus, auf dem eine Reihe in
die Kamera lächelnder Würdenträger, angetan mit Frack
und Schärpen, abgebildet waren, die mit einer Schere ein langes
Band zerschnitten. Über ihren Köpfen hing ein Transparent
mit der Aufschrift:
    WIR BIETEN AMERIKA NUR DAS ALLERBESTE:
THURINGIA
NÜSSE FRÜCHTE GEBÄCK
    Die Bildunterschrift lautete: »Der jüngste Touristenort
Kaliforniens heißt seine Gäste willkommen.«
    Auf der Karte waren zwei rote Kreise eingezeichnet, einer um einen
nicht namentlich gekennzeichneten kleinen Punkt östlich von
Livermore, der andere um San José.
    »Hast du schon mal was von einem Ort namens Thuringia
gehört?«
    »Nein«, sagte sie. »Klingt nach einer
Wurstmarke.«
    »Wie weit möchtest du in die Sache hineingezogen
werden?«, fragte ich sie.
    Sie packte das Steuer fester.
    »Lissa?« Ich beugte mich vor, um ihren Blick aufzufangen
und sie zu einer Antwort zu zwingen.
    »Ich möchte irgendwann einmal in Frieden leben«,
murmelte sie. »Wenn du dasselbe machen willst, was Rob gemacht
hat…« Als sie mir einen Blick zuwarf, merkte ich
instinktiv, dass sie Rob in mir sah. Mein Bruder und ich hatten uns,
was das Aussehen betraf, in den vergangenen drei Jahrzehnten kaum
auseinander entwickelt. Rob war Rechtshänder gewesen; ich war
Linkshänder. Adroit und gauche. Sein Haar hatte
sich im Uhrzeigersinn gekräuselt, meines kräuselte sich
gegen den Uhrzeigersinn. Er zog zuerst den rechten Schuh an, dann den
linken; ich machte es umgekehrt. Sein linkes Auge war ein wenig
schräg gestellt; bei mir ist es das rechte.
Selbstverständlich hatten wir unterschiedliche
Fingerabdrücke und Netzhautmuster; selbst die

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