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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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getan«,
erwiderte sie mit einer Bitterkeit, die ich bei ihr noch nicht
gehört hatte.
    Wir starrten beide durch die staubige Windschutzscheibe auf die
Häuser hinab, die so verstreut und regellos herumstanden, dass
sie an eine Herde hitzematter Kühe erinnerten.
    Lissa schob den automatischen Schalthebel des Toyota auf FAHREN
und chauffierte uns langsam die letzten hundert Meter über den
ramponierten Asphalt. Unten bog sie von der Straße ab und hielt
vor einem von einbetonierten Eisenpfosten aufrecht gehaltenen
Maschendrahtzaun, der – soweit wir es beurteilen konnten –
den gesamten Ort umschloss. Ein Schild, das mit Draht am Zaun
befestigt war, verkündete in weißen Buchstaben auf rotem
Grund: NATÜRLICH VERURSACHTE UMWELTVERSCHMUTZUNG – ZUTRITT
VERBOTEN. Der Zaun verlief quer über die Straße. Es gab
nirgendwo ein Tor.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Lissa.
    Ich überdachte die Sache. »Der Ort östlich von hier
heißt Cinnabar. Das ist ein quecksilberhaltiges Erz.«
    »Quecksilber ist ein Gift«, sagte Lissa.
    »Ziemlich übles Zeug«, stimmte ich ihr zu.
»Aber ich verstehe nicht, wie es einen ganzen Ort verseuchen
konnte. Es gibt hier weder eine Fabrik noch eine Mine.«
    »Bist du dir sicher? Ich finde, wir sollten umkehren und
zurückfahren.«
    Das war ein vernünftiger Vorschlag, aber irgendetwas sagte
mir, dass das Schild nicht vor dem Quecksilber warnte. »Du
bleibst hier. Ich sehe mir das mal an«, sagte ich. Und
fügte dann hinzu: »Ich verspreche dir, dass ich mir die
Schuhe abwische, wenn ich zurückkomme.«
    »Zur Hölle damit«, erwiderte Lissa. »Ich geh
mit dir rein.« Sie versuchte, ein mutiges Gesicht
aufzusetzen.
    Es war nicht schwer, sich einen Weg durch den rostigen
Maschendrahtzaun zu bahnen. Ich fand einen Stein, schlug damit eine
Querstrebe, die den Zaun spannte, zur Seite und trat danach ein so
großes Loch in die Drahtmaschen, dass wir
hindurchschlüpfen konnten. Nachdem ich es mühelos geschafft
hatte, beschloss ich, den Stein für alle Fälle mitzunehmen.
Lissa blieb mit ihrem Kleid am Draht hängen und zeigte mehr
Bein, als uns beiden lieb war.
    Sie strich ihr Kleid glatt, während ich meinen Blick zur
Hauptstraße von Thuringia wandte, die wie die schäbige
Kulisse für einen billigen Frankenstein-Film wirkte. Auf beiden
Seiten standen Häuser, die mit Brettern vernagelt waren und mit
ihren falschen Fassaden wohl an ein europäisches Dorf erinnern
sollten. Die Sonne hatte alle Farben bis auf ein paar Spuren von Rot,
Blau und Grün weggebleicht. In den getrockneten Schlamm der
Straße hatten die letzten Regenfälle Wasserrinnen
gegraben. Hier und da lagen ausgedörrte Dornenkugeln, die der
Wind hierher getragen hatte.
    »Dornenkugeln stammen ursprünglich aus Russland«,
erklärte ich Lissa.
    »Und?«, fragte sie.
    »Nichts«, antwortete ich. Abstand voneinander haltend,
gingen wir den Sachsen-Boulevard hinab. Einige der Häuser waren
mit Graffiti besprüht, aber für diesen Teil des Landes
waren es vergleichsweise wenige. Links von uns, am Böhmenweg,
lockten weitere gespenstisch wirkende Ladenfassaden mit alten,
falschen Versprechungen.
    Wir blieben unter einer abblätternden goldenen Brezel stehen,
die über dem Eingang einer dänischen Bäckerei hing.
Dieser Laden war nicht mit Brettern vernagelt, aber die Fenster waren
schon seit langem eingeschlagen. Das Ladeninnere war eine dunkle,
staubige Ruine aus leeren Regalen, freigelegten Wasserrohren und
Stromleitungen, aus denen nackte, tote Kabel lugten.
    Im Schaufenster stand ein vom Regen verzogenes Modell des Orts,
aus dessen Pappmache-Häusern jegliche Farbe entwichen war. Neben
einer Lücke am Nordrand des Modells, wo offenbar ein
größeres Gebäude herausgerissen worden war, besagte
ein hochgerolltes Papierschild: THURINGIA BADEN-BADEN: MINERALQUELLEN
UND KURBÄDER, natürliches Heilwasser aus den Tiefen der
Erde.
    »Heiße Bäder«, sagte Lissa.
»Tödlicher Sprudelspaß, genießen Sie die
Quecksilberdämpfe.«
    »Find ich gar nicht witzig.«
    Zwei Türen weiter schützten abblätternde
Sperrholzplatten das Fenster eines Immobilienbüros. Ihr
gemütlicher Alpendorf-Wohnsitz – Vorzugsimmobilien verkündeten in stilisiert-altmodischer Schrift
eingeschnitzte Lettern eine Handbreit über dem Sperrholz. Blau
und rot angemalter Pfefferkuchen-Kitsch, eingefasst von
ausgesägten Edelweißmustern. Aufgrund seiner nicht
sonderlich weit zurückreichenden Geschichte hat das weiße
Amerika von jeher nach Bestätigung durch

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