Jäger
Wenn die Dämmerung
hereinbrach, kühlte die Sommerhitze zu einer einigermaßen
erträglichen Backofenglut ab und vom Meer her zog eine sanfte
Brise wie ein himmlischer Hauch durch die Canyons. Die zentrale
Klimaanlage schaltete sich stets um halb acht oder acht Uhr abends
ab, danach wurde das Haus still. Während die Sterne über
den schwarzen Hügeln aufstiegen, setzte das frühabendliche
Zirpen der Grillen ein.
Ich war dreiundsechzig. Mein Buch über Guerilla-Operationen
von U-Booten in den Gewässern der Philippinen dümpelte vor
sich hin. Trotz all meiner Recherchen wollte es mir einfach nicht
gelingen, die Story zu entwickeln. Ich war es leid, über tapfere
junge Männer zu schreiben, die vor sechzig Jahren in einem
gerechten Krieg gekämpft hatten. Wie es schien, hatte ich mich
leer geschrieben.
Für die Zukunft konnte ich keinerlei Perspektive erkennen und
das machte auch die Vergangenheit sinnlos.
Ich saß in meinem Polstersessel mit den von Katzenkrallen
zerfledderten ledernen Armlehnen und nippte an meinem Martini. Ich
mag eigentlich keinen Gin, aber Janie mochte ihn. Nach dem Martini
würde ich ein Bier trinken und dann, eine Stunde später,
einen Scotch. Ich hatte nicht vor, mich umzubringen, deshalb
hörte ich immer bei drei auf. Drei Drinks reichten aus, meine
Verzweiflung in Traurigkeit umschlagen zu lassen.
Die Fenster glänzten schwarz und die Schirmlampe neben dem
Sessel tauchte alles in warmes Licht. Gegen neun fühlte ich mich
in meinem Kummer fast schon wohl.
Meine Tochter lebte in Minneapolis. Sie war schon immer ein
Chamäleon gewesen, hatte sich nach sechs Jahren den typischen
norwegisch-chippewa angehauchten Minne-sooa-tah-Akzent angewöhnt
und rief nur selten an. Mein Sohn in Baltimore konnte nicht einmal
zur Beerdigung seiner Mutter kommen. Er hatte behauptet, mit einer
Fischvergiftung im Bett zu liegen. Vielleicht stimmte es ja.
Janie und ich hatten gerade die von unseren Kindern nicht mehr
benötigten Sachen beim Second-Hand-Laden der Wohlfahrt abgegeben
und dachten an zweite Flitterwochen, als ein Schlaganfall sie
niederstreckte. Zur Hölle mit Beziehungen. Ich würde mich
nie mehr verlieben, mich nie mehr auf eine Frau verlassen.
Schließlich konnte es ja passieren, dass sie plötzlich
aufstand, in ein anderes Zimmer ging, sich hinlegte und mir
wegstarb.
Wie die einsame weiße Eule, die ich nachts im Garten dabei
beobachtet hatte, wie sie im hohen Gras Mäuse tranchierte,
geisterte ich in der Dunkelheit umher. Es gibt nichts Traurigeres als
einen alten Griesgram, der seine Lebenspartnerin verloren hat.
Das Telefon klingelte. Janie hatte eines dieser drahtlosen Dinger
gekauft, aber ich hatte noch ein altes Ma Bell aus Bakelit neben
meinem Sessel stehen, das früher einmal Admiral Halsey benutzt
hat. Als ich abnahm, fragte eine jugendliche Männerstimme:
»Spreche ich mit Ben Bridger? Dem Autor von Das
Massengrab?«
»So ist es«, erwiderte ich und beugte mich in meinem
Sessel vor, damit ich meine Stimme zu einem würdevollen Bariton
senken konnte. »Wer ist dran?«
»Mein Name ist Rob Cousins. Ich bin Biologe.«
»Wie nett«, sagte ich.
»Ich habe Ihre Bücher in meiner Jugend verschlungen. Die
alten Taschenbücher von Ballantine & Bantam. Ich glaube, ich
habe noch immer ein paar davon irgendwo herumfliegen. Sie waren
toll.«
»Vielen Dank«, erwiderte ich. »Was kann ich
für Sie tun?«
»Sie haben doch ein Buch zusammen mit dem Adjutanten von
Berija geschrieben – mit dem, der seiner Erschießung
entkommen ist, stimmt’s?«
»Ja.« Walzer mit der Bestie, Houghton Mifflin,
1982. Vier Auflagen in Hardcover und ein paar
Taschenbuchauflagen.
»Kennen Sie einen Autor, der Rudy Banning
heißt?«
»Hat früher viermal so viel Bücher verkauft wie
ich.«
»Und jetzt?«
»Kann ums Verrecken nichts mehr veröffentlichen, selbst
wenn es um sein Leben ginge. Er ist ein Spinner.«
»Völlig unzuverlässig?«
»Ich nehme an, er gräbt immer noch ab und an
irgendwelche Papiere in den diversen Nationalarchiven aus.«
»Was, glauben Sie, ist mit ihm passiert?«
»Das ist nicht meine Angelegenheit, Mister…«
»Cousins. Ich bin im Augenblick in El Cajon. Am Broadway,
glaube ich. Wenn es für Sie nicht zu spät ist, würde
ich gern etwas zum Essen mitbringen und mit Ihnen reden.«
Winzige Alarmglocken schrillten los. »Es ist spät«, sagte ich. »Woher wollen Sie wissen, dass
ich noch nicht zu Abend gegessen habe?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich habe seit dem
Frühstück
Weitere Kostenlose Bücher