Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
nichts mehr in den Magen bekommen. Ich
könnte auch eine Nachspeise mitbringen.«
    »Käsekuchen?«
    »Klar.«
    »Was wollen Sie wissen, Mr. Cousins?«
    »Ich muss herausfinden, ob einige Dinge richtig sind, die mir
Rudy Banning erzählt hat. Sie könnten sehr wichtig
sein… für mich. Aber auch für einen Historiker wie
Sie.«
    Falls er einer von Bannings kleinen im Stechschritt marschierenden
Bewunderern war, falls er mit einer Luger oder Mauser hier
aufkreuzte, konnte ich ihm ja einen Sermon über Hitlers einsamen
Hoden vor den Latz knallen, dann würde er bestimmt ausrasten und
mir das Hirn wegblasen. Das wäre kein schlechter Abgang. Schnell
und mit meinem Namen in der Zeitung. Der Scotch ging sowieso bald zur
Neige.
    »Ich habe tatsächlich noch nicht zu Abend
gegessen«, sagte ich.
    »Ich bin in der Nähe von einem Vietnamesischen
Restaurant mit Straßenverkauf. Was soll ich Ihnen
mitbringen?«
    »Ein paar von diesen Dingern, die so ähnlich aussehen
und schmecken wie Frühlingsrollen«, sagte ich.
»Phô mit Wurst und gekochtem Rindfleisch, viel Basilikum
und grünen Chilischoten. Die Bohnensprossen können Sie
vergessen.«
    Ich erklärte ihm, wie er zu mir finden würde.
    Draußen hörte ich die große Schleiereule im hohen
Gras jagen; ihre Schwingen raschelten leise, wie kleine Geishas.
    •
    Cousins kam ungefähr eine Stunde später. Wir aßen
auf der hinteren Veranda im Schein der gelben Duftleuchten, die
angeblich die Insekten abschrecken.
    Er war ein schmächtiger Bursche, knapp unter dreißig,
gut aussehend, mit hellbraunem Haar, das an den Schläfen bereits
schütter wurde, was ihm jedoch nicht schlecht stand. Er sah
blass und mit der schweißfeuchten Stirn fast ein wenig
kränklich aus. Ganz und gar nicht der Typ, der im Stechschritt
daherkam. Seine Augen waren intensiv und dunkelgrün, das linke
Augenlid stand ein wenig schräg. Er sprach schnell. Seine Finger
waren lang und schlank wie die eines Pianisten.
    »Was wissen Sie über Lydia Timaschuk?«, fragte er,
nachdem ich meinen Sara Lee-Käsekuchen verdrückt hatte.
    »Timaschuk«, sagte ich. »Sie besaß in den
Dreißigerjahren Stalins geneigtes Ohr. Sie forderte, die besten
Wissenschaftler und Ärzte der Sowjetunion sollten
zusammenarbeiten, um dem Genossen Stalin ein längeres Leben zu
bescheren. Das gefiel Stalin. Aber die Timaschuk war eine falsche
Schlange. Sie denunzierte 1952 die jüdischen Ärzte. Die
meisten von ihnen wurden erschossen.«
    Cousins nickte und lächelte. Ich hatte das Gefühl, dass
ich den ersten Test bestanden hatte. »Sie war eine
falsche Schlange. Aber haben Sie schon einmal etwas von einem
Wissenschaftler gehört, der Golochow hieß? Maxim
Golochow?«
    »Maxim Gorki, ja. Golochow, nein.«
    »Und von einem Projekt namens Silk? Es wurde vor dem Krieg
gestartet.«
    Ich wusste, welchen Krieg er meinte. »Nein… Es sei denn,
es war eines der Projekte zur Herstellung von künstlicher Seide.
Für Fallschirme und Ähnliches.«
    »Irgendwas, das mit Stalin zu tun hatte und mit einem
Forschungsprojekt über Bewusstseinskontrolle? Baikalsee?
Universität von Irkutsk? Das in den Zwanzigerjahren gestartet
wurde?«
    »Nein. Aber das hat nichts zu sagen. Sie entdecken dort
drüben noch immer Tonnen von Akten und Geheimpapieren über
dieses und jenes. Nicht so systematisch und penibel geführt wie
die Akten der Nazis, aber kein bisschen weniger entsetzlich. Stalin
war ein übler Zeitgenosse.«
    »Was können Sie mir über Rudy Banning
erzählen?«
    »Er war der Beste.«
    Cousins grinste. »Genau das sagt er auch.«
    »Sie arbeiten mit ihm zusammen?«
    »Ich weiß nicht, wie ich unsere Beziehung nennen soll,
um ehrlich zu sein.«
    Cousins wirkte nervös, aber nicht labil. Die Grillen waren
verstummt. Die Balken des Hauses knackten, während sie sich in
der kühlen Nachtluft zusammenzogen. Ich glaubte, in der
Küche Schritte zu hören. Ich höre um diese Zeit am
Abend oft Schritte in der Küche.
    Es war gut, jemanden zum Reden zu haben.
    »Rudys Bücher waren einmal ziemlich gut«, sagte
ich. »Er hatte eine Ader dafür, seltene Dokumente
aufzuspüren. Aber es geht nicht spurlos an einem vorüber,
wenn man Tausende von Akten irgendwelcher staatlicher Stellen
durchackert, die unvorstellbar grausame, unerträgliche Dinge
enthalten. Das geistig Böse, wie man so sagt. Aber es sind keine
Geister, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die das
Unvorstellbare tun und es dann akribisch dokumentieren, so wie Sie
und ich die besonderen

Weitere Kostenlose Bücher