Jäger
durchsucht
hat?«, fragte sie. »Es sieht so aus.«
»Scht«, machte ich in der Hoffnung, den so schnell
erlöschenden Funken der Erinnerung wieder anzufachen. Ich
versuchte, den Raum mit anderen Augen als den meinen, allerdings sehr
ähnlichen, zu sehen. Schließlich zog ich die Tür des
kleinen Kühlschranks auf. Auf den oberen Ablagen waren gut
dreißig Petrischalen gestapelt. Ich öffnete den Deckel
irgendeiner Schale und roch an dem rosafarbenen,
puddingähnlichen Inhalt.
»Joghurt«, stellte ich fest. Hinter den Petrischalen, an
der hinteren Wand des Kühlschranks, stand ein kleiner, offenbar
nicht geöffneter Becher mit Pifia colada Yoplait. Eine meiner
Lieblingsnaschereien.
Eine von Robs Lieblingsnaschereien.
Wir sahen einander an.
»Er hat herauszufinden versucht, auf welche Weise sie sein
Essen infiziert haben«, sagte ich. »Er hat Proben von
solchen Lebensmitteln kultiviert, von denen er gegessen hatte.
Vielleicht wusste er bei einigen auch, dass sie infiziert sein
mussten.«
Ich machte den Kühlschrank wieder zu, drehte eine langsame
Pirouette und sah mich dabei im Zimmer um, als wollte ich einen
Schatten auf frischer Tat ertappen. Von der Anstrengung, mich zu
erinnern, brummte mein Kopf.
In die Ecke neben der Tiefkühltruhe war ein etwa
unterarmlanger Karton geschoben. Ich hob den Deckel mit einem Finger
an: Der Karton enthielt eine graue Hose, ein Hemd aus weichem glatten
Stoff, spitze schwarze italienische Schuhe und einen schwarzen
Ledergürtel. Oben auf dem Stoß lagen eine Brieftasche aus
Aalhaut, mehrere Schlüssel und eine Sonnenbrille mit
Drahtgestell und ovalen Gläsern.
Ich nahm die Sonnenbrille in die Hand. Jetzt passte alles
zusammen. Ich riss den Deckel der Kühltruhe auf und schob
Gesicht und Hände in den kalten Nebel.
»Nicht!«, rief Lissa mit schriller Stimme. »Du
verlierst ein Haar oder was.« Sie musste in letzter Zeit viele
Krimis gelesen haben. Konnten Spezialisten der forensischen Medizin
die Haare von Zwillingen unterscheiden? Ich bezweifelte es sehr.
Genetisch betrachtet, war ich mein Bruder.
Ich musterte das durch die Totenstarre versteinerte,
wächserne Gesicht, dessen gefrorene Augen gleichgültig
blickten. Die Kopfhaut, die aussah wie ein verrutschtes Toupet, war
mit dichtem schwarzem Haar bedeckt.
»Ich hab diesen Kerl schon mal gesehen«, erklärte
ich, schob die Sonnenbrille auf das Gesicht und zog einen der
Bügel über eine hart gefrorene Falte der Kopfhaut. Da der
obere Teil des Schädels fehlte, hätte es eigentlich schwer
sein müssen, ihn zu erkennen, doch ich konzentrierte mich auf
die scharfe Nase, die hageren Gesichtszüge, die Sonnenbrille. Bingo.
Ein viel sagender Blick und zwei schlanke, drahtige Männer an
einer Bushaltestelle in Berkeley, die einander in die Rippen
stießen. Nicht weit von dem Supermarkt auf der Claremont
Avenue, kurz vor dem Zwischenfall mit dem kleinen Mann, der
Gemüse besprüht hatte.
Die Leiche in der Tiefkühltruhe war einer dieser beiden
Männer. Ich wusste, dass er mehr als dreißig Tage nach
Robs Ermordung in New York noch am Leben gewesen war.
»Rob kann das nicht getan haben«, erklärte ich und
ließ den Deckel der Kühltruhe fallen. »Ein anderer
hat hier die Finger im Spiel.«
»Banning?«, fragte Lissa.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Banning es fertig bringen
würde, irgendeine Art von ekelhafter Autopsie
durchzuführen. »Ich glaube nicht. Er hat es eher mit
Büchern als mit Messern.«
Plötzlich war es sehr, sehr wichtig, dass wir so schnell wie
möglich aus dem Zimmer, aus dem Gebäude verschwanden. Die
Handschuhe noch an den Händen, öffnete ich die Tür und
spähte den Korridor hinauf und hinab. Leer. Wir traten auf den
Gang hinaus. Ich machte die Tür hinter uns zu und sperrte
ab.
Wir mussten an der Empfangsdame vorbei, um zur Treppe zu gelangen.
Als wir an ihr vorübergingen, blickte sie auf und rief:
»Sind Sie aus Mr. Eschers Büro? Ich habe hier etwas
für Sie.«
Zahlen. Sie hatte ihrer Mutter Zahlen durchgegeben.
»Scheiße!«, knurrte ich, packte Lissas Hand und
zog sie den Korridor hinab.
Wie ein Kuckuck aus der Kuckucksuhr schoss die Empfangsdame aus
der offenen Glastür heraus, in der Hand eine große
Pappschachtel. »Warten Sie!«, rief sie. »Jemand hat
das abgegeben!«
Ich stieß Lissa ins Treppenhaus. Sie schrie erschrocken auf,
sprang mit ein paar taumelnden Sätzen die erste Treppenflucht
hinunter und prallte ziemlich heftig gegen die Wand aus
Hohlblocksteinen.
Ich war zum
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