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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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größten Teil durch die Ecke zum Treppenhaus
geschützt, als die Explosion wie eine riesige Welle von Flammen
und Trümmern den Korridor erfasste. Nägel, Schrauben,
scharfe Glassplitter und Metallstücke zerfetzten mein Hemd und
den Absatz meines linken Schuhs und barsten durch das große
Fenster. Die Druckwelle warf mich die Treppe hinab. Ich
überschlug mich mehrmals, bis ich schließlich neben Lissa
liegen blieb. Rauch erfüllte das Treppenhaus, schwarz und
beißend wie brennendes Gummi. Der Aktenkoffer drückte auf
meinen Magen. Ich konnte mich kaum bewegen und bekam keine Luft.
    Eine Alarmglocke schrillte los und die Sprinkleranlage schaltete
sich ein.
    Lissa, kräftiger als gedacht, zerrte mich die nächste
Treppenflucht hinunter. Am Fuß der Treppe war ich wieder so
weit bei mir, dass ich das Geländer zu fassen kriegte und auf
die Beine kam. Ich humpelte hinter ihr hinaus in die
Dämmerung.
    Der Gehsteig und die Straße waren mit Glas und
Metalltrümmern übersät. Als wir nach oben sahen,
schlugen gierige Flammen und sengender Dampf wie der heiße Atem
eines Drachen aus den Fenstern des ersten Stocks.
    Der hagere Autoverkäufer in dem engen Fischgräten-Anzug
lehnte jetzt an Lissas Wagen, als hätte er die ganze Zeit
geduldig dort gewartet. »Sind Sie verletzt?«, erkundigte er
sich. Im nächsten Moment warf er den ausgiebig benutzten
Zahnstocher auf den Rasen und zog so beiläufig eine Pistole aus
der Jackentasche, als sei es ein Kaufvertrag. Er richtete die Pistole
auf mich, nicht auf Lissa, und verzog sein Wieselgesicht zu einem
coolen Grinsen. An seinem Kinn glitzerte Spucke. Wir schoben uns
rückwärts von ihm weg. »Bleibt stehen,
verdammt!«, brüllte er, den Blick auf mich gerichtet.
»Wegen dir gehen mir noch ein paar Verkäufe durch die
Lappen.«
    Das Krachen eines Schusses ließ mich zusammenzucken. Das
war’s. Ich krallte die Hände in meinen Bauch. Nichts.
Kein Blut, kein Schmerz. Ich hob gerade noch rechtzeitig den Blick
von meinem Gürtel, um den Mann ein paar Schritte
rückwärts taumeln zu sehen, als habe ihn ein Faustschlag
getroffen. Ein kleines schwarzes Loch zierte seinen Anzug.
    Er hatte noch so viel Blut im Hirn, dass er zu zielen versuchte,
doch als er begriff, was geschehen war, war die Waffe das Letzte, das
ihn interessierte. Seine Beine gaben unter ihm nach, er stürzte
mit einem Grunzen zu Boden. Während er dort auf dem Rücken
lag, stieß er mit den Beinen um sich und keuchte: »Oh,
mein Gott, oh, Mutter.« Sekunden später wurde sein Gesicht
leer, aber seine Füße scharrten und zuckten weiter.
    Ich hatte noch nie einen Menschen sterben sehen.
    Lissa verstaute die Pistole schon in der Handtasche, als ich zu
ihr herumfuhr und sie ansah. Im Scheinwerferlicht des
Gebrauchtwagenmarkts wirkte ihr Gesicht so bleich wie der Vollmond.
Das blonde Haar und die Schultern schimmerten im Widerschein der
lodernden Flammen.
    »Verdammter Amateur«, zischte sie. »Lass uns von
hier verschwinden.« Sie war so außer sich vor Wut, dass
sie mir eine höllische Angst einjagte.

 
     
     
Zweiter Teil
     
     
Ben Bridger

»Sie haben Bakterien zu Genossen und Verbündeten
gemacht. Sie sprechen mit ihnen und durch sie. Sie haben eine
Telefonverbindung zur menschlichen Psyche hergestellt. Das bedeutet
unvorstellbare Macht.«
    Geheimbericht des Zentralen
Untersuchungskomitees
an Lawrenti Berija, 1937 (aus den Golochow-Papieren, freigegeben vom Ausschuss für
offene und unverfälschte Darstellung der Geschichte an der
Universität Irkutsk, 16. August 2001)

 
Kapitel 27
     
6. Juni – El Cajon, Kalifornien
     
    Ich war in einer fürchterlichen Verfassung, als Rob Cousins
anrief.
    In der Kaffeemaschine war eine Dichtung durchgeschmort, so dass
sie aus allen Rohren kochend heißes Wasser gespuckt hatte. Das
Haus war ein Schutzgebiet für Staubmäuse. Unser alter
weißer Kater war ausgebüxt, um mit den Kojoten Räuber
und Gendarm zu spielen, und die Kojoten hatten gewonnen. Er hatte
Janie ohnehin lieber gemocht als mich.
    So ungefähr das einzige Vergnügen in meinem Leben war,
in Buchantiquariaten herumzustöbern, aber die meisten meiner
Lieblingsläden hatten zugemacht und verkauften jetzt online. Da
Janie immer noch in der Küche herumspukte, kochte ich nur
selten. Der Rasen war so hoch geschossen, dass ich es nicht wagte,
einen Rasenmäher hindurchzuschieben. Ich verbrachte die
Vormittage in einer derart lähmenden Depression, dass ich kaum
aus dem Bett kam.
    Die Abende waren noch das Beste.

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