Jaegerin der Daemmerung
er deine Gestalt annehmen und versuchen, mich zu verführen. Er wird die Arme öffnen, damit ich mich seiner Umarmung hingebe und ganz nah bei ihm bin.«
»Nein.«
»Du weißt, dass ich recht habe. So wird es klappen.«
»Nein.« Ungehalten sprang der sonst so ruhige Razvan auf und rief nach dem Rudel. »Ich gehe mit den Wölfen an die frische Luft. Möchtest du uns begleiten?«
»Wir sollten erst unser Gespräch beenden.«
»Es gibt nichts zu besprechen. Kommst du jetzt oder nicht?« Razvan entfernte sich mit langen, schnellen Schritten und schnipste mit den Fingern nach den Wölfen.
Ivory, die sich ebenfalls erhoben hatte, stand einen Moment da, war unschlüssig, ob sie sich freuen oder darüber verärgert sein sollte, dass er sie so unbedingt beschützen wollte. Seit ihren Mädchenjahren, als ihre Brüder und die Brüder De La Cruz sie mit Liebe überschüttet hatten, bis sie sich wie eine Prinzessin vorgekommen war, hatte sich niemand mehr so um sie gesorgt. Razvan dagegen hatte bei Xavier so viel mitmachen müssen, dass er sich an ihre Idee erst einmal gewöhnen musste.
Als sie sah, dass Razvan die Arme ausstreckte und Blaez und Rikki zu Tätowierungen auf seinem Rücken wurden, staunte sie nicht schlecht. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie ein bisschen beleidigt. Das Rudel war noch nie aufgeteilt gewesen. Die Tiere waren doch ihre Familie.
»Das Rudel ist nicht geteilt«, sagte Razvan. »Wir sind eine Familie.«
Entweder hatte Razvan seine Ruhe wiedergefunden oder seine Wut war nur gespielt gewesen. Sogar als er unnachgiebig Nein gesagt hatte, war er nicht laut geworden, und seine Stimme hatte nicht aufgebracht, sondern nur unerbittlich geklungen.
»Ja, das sind wir«, stimmte sie zu. »Es kann nicht schaden, wenn wir beide die Wölfe tragen. Sie werden unsere Rücken freihalten.«
Als Razvan sie angrinste, wirkte er um Jahre jünger, fast wie ein Kind. »Es ist unglaublich, dass sie mich bereits akzeptieren.«
Ivory spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Seine Freude rührte sie. »Wohin gehen wir?«
»Ich würde gerne an den Ort gehen, an dem du die Erde für unser Bett gefunden hast.«
»Die Edelsteinhöhle.«
Er nickte. »Die Erde dort ist so rein und gehaltvoll, dass wir keine Angst haben müssen, sie könnte von Xavier vergiftet worden sein. Mich interessiert, wie weit die Infektion bereits vorangeschritten ist, wie groß das verseuchte Areal momentan ist. Ich kann nicht glauben, dass das hier der einzige Ort sein sollte. Sobald wir wissen, wie wir suchen müssen, können wir den anderen Karpatianern eine Nachricht schicken, wie sie ihre Erde überprüfen können.«
»Du glaubst also, dass wir sie reinigen können?«
»Ich bin davon überzeugt, dass du es kannst.«
Ivory wehrte sich gegen das wärmende Gefühl, das durch ihren Körper strömte. Es war beängstigend, wie sie auf ihn reagierte. Verlegen streckte sie die Arme aus, damit der Rest des Rudels mit ihrer Haut verschmelzen konnte, ehe sie ihre Sinne aussandte, um sicherzugehen, dass niemand etwas davon mitbekam, wenn sie die Höhle verließen.
Es war eine ruhige, klare Nacht. Hoch über ihnen funkelten die Sterne. Ein Anblick, der Razvan immer wieder aufs Neue verzauberte. Ivory konnte seine Verwunderung, seine Begeisterung, sein Staunen spüren.
Seitdem Razvan an ihrer Seite war, sah sie die Welt mit neuen Augen. Ihr war, als segelte er über den Mond, als rutschte er an einem Kometen herab, als spielte er Verstecken in den verschiedenen Sternbildern. Er raste durch die Nebelschwaden, die sich an den Flussbetten gebildet hatten - und all das erlebte sie gemeinsam mit ihm. Abertausende Male war sie in Gestalt einer Eule durch die Nacht geflogen, aber noch nie hatte es ihr so viel Freude bereitet.
Mit lautlosem Flügelschlag, angeführt vom Weibchen, das darauf bedacht war, die Sicherheit des Waldes so lange wie möglich auszunutzen, glitten die beiden Eulen über die verschneite Welt hinweg. Vollkommen geräuschlos, sodass die Nager im Unterholz nichts von der Gefahr über ihren Köpfen ahnten, und mit hohem Tempo, das sie auch nicht drosselten, wenn sie dicht an den Bäumen in die Kurven gingen, flogen sie Kilometer um Kilometer weiter.
Dort, wo der Wald in ein Tal abfiel, das sich zwischen zwei Bergen erstreckte, verließen sie den Schutz der Bäume und stiegen in die Lüfte empor, weit weg vom karpatianischen Dorf und Xaviers Eishöhlen. Um sich besser zu tarnen, wechselten die Eulen die Farbe. Razvan entschied sich
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