Jaegerin der Daemmerung
Jedes Mal, wenn du mir verseuchte Erde gebracht hast, stürzten sie sich auf die infizierten Mikroben und vernichteten sie, ohne etwas anderes zu zerstören.« Ivory drehte den Kopf zur anderen Seite. »Weißt du, wo er die Mikroben herstellt?«
»Nachdem Xaviers größtes Labor zerstört worden ist, hat er es in seine Festung in die Erde unter dem Gebirge verlegt. Ich weiß, wo es ist. Allerdings würden wir dort keine Mikroben finden. Er schleust sie in einen Gletscher ein, über dessen Schmelzwasser sie dann in die Erde gelangen. Das letzte Mal, als ich für uns in der Nähe des Dorfes unterhalb des Gletschers gejagt habe, habe ich gehört, wie die ortsansässige Hebamme von der hohen Fehlgeburtenrate sprach. Ich fürchte, die Mikroben haben inzwischen auch auf die Menschen übergegriffen. Wenn ihre Gärten verseucht wurden, könnte sie dasselbe Schicksal ereilen wie unser Volk«, sagte Razvan, der noch immer Ivorys Schultern massierte. »Du solltest dich ein wenig ausruhen, Ivory.«
Seit nunmehr drei Wochen arbeitete sie fieberhaft an einer Lösung des Mikroben-Problems und hatte nicht ein einziges Mal die Höhle verlassen, noch nicht einmal zur Nahrungssuche. Razvan war sowohl für das Rudel als auch für Ivory auf die Jagd gegangen. Nacht für Nacht war er mit den Wölfen losgezogen, hatte von verschiedenen Stellen Erdproben genommen und sie Ivory gebracht, die sich beharrlich weigerte, ihn zu begleiten. Sie sah müde und abgekämpft aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl, Razvan«, sagte sie, stieß aber ein wohliges Stöhnen aus, als er gekonnt die Verhärtungen in ihrem Nacken wegmassierte. »Schon seit einiger Zeit wird es immer stärker, und ich weiß, dass das hier so schnell wie möglich erledigt werden muss.«
Als Razvan nichts erwiderte, richtete Ivory sich auf, um zu sehen, was für ein Gesicht er machte. »Gib es zu, du spürst es auch.«
Er nickte. »Und es wächst von Tag zu Tag. Auch das Rudel wird mit jedem Ausflug unruhiger.«
»Irgendetwas stimmt nicht.«
Razvan wollte ihr nur ungern zustimmen, weil sie so abgekämpft war, auch wenn er mit jeder Faser seines Körpers spürte, dass sie recht hatte. »Wir sollten dem Prinzen einen Besuch abstatten und ihm mitteilen, was wir bis jetzt herausgefunden haben«, schlug er vor.
Ivory biss sich auf die Lippe. »Ich bin überzeugt davon, dass ich recht habe, Razvan, aber ich bin immer so akribisch. Normalerweise wiederhole ich die Experimente unzählige Male und dokumentiere sie. Ich arbeite noch immer an dem Zauberspruch, der der Mutation der Mikroben entgegenwirkt, falls wir sein Labor finden sollten.«
Ruhelos fuhr Ivory sich durch das Haar. »Es gibt noch so viel zu tun. Wir dürfen jetzt nichts überstürzen. Ein kleiner Fehler und wir richten genauso viel Schaden an wie Xavier.«
Sie arbeiteten bis in den Vormittag, bis Ivorys Haut zu jucken begann und kleine Bläschen bildete, weil die Sonne längst am Himmel stand, und bis sie die Augen nicht mehr aufhalten konnte. Schon seit geraumer Zeit schlief sie unruhig, wachte früh auf, war beunruhigt und gereizt. Ihr Verstand raste vor Sorge, während ihr Körper unfähig war, sich auszuruhen. Obwohl Razvan sie so oft wie möglich liebte, um den Druck zu lindern, unter dem sie stand, arbeitete sie wie besessen. Nicht einmal die Heilerde schaffte es, sie zu verjüngen.
Razvan angelte sich eine Bürste vom Tisch und fuhr Ivory damit durch das Haar, das sie ausnahmsweise offen trug. Er wusste, dass sie das ein wenig beruhigte. Genau wie ihn. Jedes Mal, wenn er ihre seidigen Strähnen auf seiner Haut spürte, erinnerte es ihn an das Wunder, dass er dieser wundervollen Frau ausgerechnet dann begegnet war, als er keine Hoffnung mehr gehabt hatte.
»Was schätzt du, wie lange es noch dauert, bis du die Zauberformel entschlüsselt hast?«
»Das werde ich erst wissen, wenn ich es ausprobiert habe, Razvan«, sagte sie voller Verzweiflung. »Allmählich begreife ich das Ausmaß dessen, was Lara und Nicolas durchgestanden haben. Sie haben nicht den Mut, sie zu verwandeln, um nicht am Tod der Kinder schuld zu sein. Ich frage mich nur, wie sie es schaffen weiterzumachen, ohne ein eigenes Leben zu haben.«
Razvans Lächeln war beruhigend für sie. »Du hast doch auch einiges durchgemacht. Genau wie ich. So ist das Leben, Ivory. Aber keiner von uns möchte, dass die Kinder genauso kämpfen müssen wie wir. Auf der anderen Seite formen Krisen den Charakter einer
Weitere Kostenlose Bücher