Jaegerin der Daemmerung
muss etwas finden, um das zu zerstören, was er gefertigt hat ...«
»Die Antwort liegt hier«, sagte Razvan mit Nachdruck. »Das spüre ich ganz deutlich.«
Ivory ließ den Blick durch die Höhle schweifen. Schon oft hatte sie die Metalle und Edelsteine, die es in der Höhle gab, für ihre Waffen und ihr Sicherheitssystem genutzt. Die Erde, die ihre Schlafstätte füllte und die sie in mühsamer Kleinarbeit in ihr Versteck gebracht hatte, stammte ebenfalls von hier. Obwohl die heilende Wirkung nicht nachließ, machte Ivory sich die Mühe, sie nach und nach auszutauschen.
Ivory glaubte an die Kraft der Gefühle. Seit sie so viele Jahrhunderte im Schoß der Erde verbracht hatte, führte sie ein Leben im Einklang mit der Natur. Wenn das Metall und die Edelsteine die Adern, Blut und Knochen der Erde waren, so bildeten die Organismen ihr Herz und ihre Seele.
Genau wie sie hatte auch Razvan dieselben Bande zu Mutter Erde geknüpft. Sie hatte ihn akzeptiert, hatte ihren Blutkreislauf mit dem seinen verbunden, hatte ihn mit ihren Edelsteinen und Mineralien umgeben, um ihm das Leben zu retten. Es war durchaus denkbar, dass sein neues Leben ihn der Erde nähergebracht hatte, sodass er kleine Unterschiede spürte, die sie noch nicht entdeckt hatte. Doch egal, wie sie es drehte und wendete, es ergab keinen Sinn. Sie, die Jahrhunderte unter der Erde verbracht hatte, die Teil der Gezeiten der Erde war, konnte nicht nachvollziehen, was er zu spüren glaubte.
»Mach deinen Kopf frei«, wies Razvan sie an. »Setz dich so hin.« Er hob seinen linken Fuß, platzierte ihn auf seinem rechten Oberschenkel und klemmte den rechten Fuß auf den linken Oberschenkel, bis er im Lotussitz saß.
Ivory ließ sich ihm gegenüber in derselben Haltung nieder.
»Oberkörper aufgerichtet, Schultern nicht nach oben ziehen. So ist es richtig.« Er nickte zustimmend. »Deine Hände bilden ein Oval, bei dem sich die rechte Hand oben und die linke unten befindet. Lege jetzt die Daumen aneinander, genau wie die Mittelfinger. Jetzt lass dich innerlich fallen. So, als würdest du jemanden heilen. Körper und Geist werden eins. Erlaube den Informationen, frei zu fließen. Nimm sie auf, lass sie wieder ziehen. Versuche nicht, an etwas festzuhalten. Bleib ganz still. Atme. Sobald dein Atem synchron zu meinem fließt, vergiss auch das.«
Ivory tat, wie ihr geheißen, gab sich im Moment voll und ganz auf, wurde eins mit der Höhle, mit der Erde. Es lag nicht nur an der Verbindung mit der Erde, dass sie die Anwesenheit der Organismen spürte, sondern vor allem an Razvans stoischer Ruhe, seinem inneren Frieden, dass er eins war mit allem, was ihn umgab.
Sie atmete tief ein, hob ihre Handflächen hoch und horchte in ihren Körper. Plötzlich wurde ihr die Existenz einer neuen Lebensform bewusst, von der die Erde in jeder Richtung durchdrungen war.
»Es ist überall«, sagte sie, aufgeregt darüber, dass sie von so viel Leben umgeben waren, und atmete langsam aus. »Ich muss herausfinden, was das ist.«
»Können wir eine Probe nehmen?«
»Wir haben doch die Erde aus unserem Bett«, sagte Ivory. »Die Erde, in der wir jeden Tag schlafen.«
Razvan runzelte die Stirn und fuhr abermals mit den Fingern durch die Erde. »Ich finde dennoch, wir sollten eine frische Probe nehmen. Nur um sicherzugehen, dass sie nicht doch irgendwie von uns verseucht wurde.«
»Ich muss erst um Erlaubnis fragen, ehe ich etwas aus der Höhle mitnehme«, warnte Ivory ihn. »Wenn die Antwort negativ ausfällt, müssen wir mit dem vorliebnehmen, was wir bereits haben. Mutter Natur war bislang mehr als großzügig uns gegenüber. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Gier in unseren Herzen breitmacht, selbst wenn es für einen guten Zweck ist.«
»Die Erde ist unsere Mutter, Ivory. Sie hat uns gerettet. Sie wird auch alles daransetzen, die Kinder ihres Volkes zu retten«, hielt Razvan dagegen.
Ivory lächelte. Sie liebte Razvans ungebrochenen Optimismus und fragte sich, woher er rühren mochte. Vom eigenen Großvater gepeinigt und von seinem Volk als Abschaum betrachtet, hatte er dennoch nicht den Glauben an das Gute in der Welt verloren.
Razvan sah, wie Ivory ihn mit dem Blick bedachte, den sie nur für ihn reserviert hatte. Ein zärtlicher, liebevoller Blick, in dem eine gehörige Portion Stolz mitschwang. Vermutlich war ihr gar nicht bewusst, dass sie ihn so ansah. Jedes Mal, wenn der Ausdruck über ihr Gesicht hinweghuschte, schmolz er innerlich dahin. Ihm reichte es, dass sie
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