Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
einstürmten.
Zum Glück schien Peter Whitney natürliche Barrieren zu besitzen, und daher konnte sie nicht in ihn blicken, wenn er sie als Kind abends ins Bett gepackt hatte. Dennoch hatte er sich vor Berührungen gehütet und sorgsam darauf geachtet, dass die Barrieren in seinem Innern standhielten, wenn sie in seiner Nähe war. Und er hatte große Sorgfalt darauf verwendet, andere Menschen mit natürlichen Barrieren zu finden, damit ihr Zuhause immer eine Zufluchtsstätte für sie war. Die Leute, die für sie gesorgt hatten, wurden für sie zu ihrer Familie, und es waren ausschließlich Menschen, die sie gefahrlos berühren konnte. Bisher war sie nie auf den Gedanken gekommen, sich zu fragen, woher Peter Whitney gewusst hatte, dass die Menschen, die er in seine Dienste nahm, stets Leute waren, in die seine ungewöhnliche Tochter nicht hineinschauen konnte.
Ryland Miller hatte sie restlos überrumpelt. Sie hätte schwören können, dass sich der Boden unter ihren Füßen bewegt hatte, als ihr Blick erstmals auf ihn gefallen war. Er besaß seine ganz eigenen Gaben und Talente. Lily wusste, dass ihr Vater ihn für gefährlich hielt. Sie nahm wahr, dass Ryland eine Gefahr darstellte, aber sie war nicht sicher, in welcher Hinsicht. Ein kleines Lächeln zog an ihren Mundwinkeln. Wahrscheinlich stellte er für jede Frau eine Gefahr dar. Die Wirkung, die er auf ihren Körper ausübte, ließ sich nicht leugnen. Sie musste ihren Vater in die Enge treiben und ihn dazu bringen, dass er ihr dieses eine Mal
zuhörte. Sie brauchte ein paar Antworten, die nur er ihr geben konnte.
Sorge machte sich in ihrer Magengrube breit. Lily presste eine Hand auf ihren Bauch und wunderte sich über die Beharrlichkeit des bedrohlichen Omens. Sie wusste aus Erfahrung, dass man eine anhaltende Unruhe, die sich so tief in die Knochen eingeschlichen hatte, nicht missachten durfte. Mit einem leisen Seufzen schlug Lily entschlossen den Weg zum Haus ein. Der Pfad, den sie nahm, war schmal. Blaugraue Schieferplatten führten um das Labyrinth herum und durch die Laube, in der sie bei schönem Wetter Tee tranken, zu einer Seitentür.
Lily trat auf die erste flache Schieferstufe, und die Erde bebte. Sie griff nach dem verschnörkelten Geländer, und ihre Schuhe fielen auf den Boden, als sie mit beiden Händen zupackte, um sich festzuhalten. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass es sich nicht um ein Erdbeben handelte. Die Bewegung erschien ihr stattdessen ganz so, als stünde sie auf einem Boot, das im Meer über Wellenkämme ritt. Sie hörte das Wasser gegen das Holz schwappen, ein hohles Geräusch, das in ihrem Innern widerhallte. Der optische Eindruck war so stark, dass Lily die Meeresluft riechen und gleichzeitig fühlen konnte, wie die aufsprühende Gischt ihr Gesicht mit zerstäubtem Salzwasser überzog.
Als Reaktion darauf zog sich ihr der Magen zusammen. Lilys Finger spannten sich so fest um das Geländer, dass ihre Knöchel weiß wurden. Sie hob ihr Gesicht der Dunkelheit entgegen, die sich am Himmel verdichtete, und sah, dass die unheilvollen Wolken über ihrem Kopf sich wie verrückt im Kreis drehten, bis das Zentrum klar und dunkel war und sich auf seiner unermüdlichen Suche erbarmungslos
bewegte. Lily riss ihre Hände vom Geländer los und stieß die Küchentür auf. Sie wankte hinein, schlug die Tür hinter sich zu und lehnte sich keuchend an die Wand. Sie machte die Augen zu und sog die Luft ihrer Zufluchtsstätte tief in ihre Lunge ein. In diesen dicken Mauern war sie in Sicherheit, zumindest so lange, bis sie einschlief.
In der Küche roch es nach frisch gebackenem Brot. Ihr Blick fiel, wohin sie auch sah, auf blitzblanke Fliesen und wohltuende Weite. Hier war sie zu Hause. Lily ließ ihre Handfläche über die Tür gleiten. »Rosa, hier riecht es einfach wunderbar. Hast du etwas zum Abendessen gekocht?«
Die kleine, dralle Frau wirbelte zu ihr herum, in einer Hand ein großes Hackmesser, in der anderen eine Karotte. Ihre dunklen Augen waren vor Erstaunen weit aufgerissen. »Miss Lily! Du hast mir einen solchen Schrecken eingejagt, dass mir fast das Herz stehen geblieben wäre. Warum bist du nicht durch die Haustür hereingekommen, wie man es von dir erwarten könnte?«
Lily lachte, weil es normal war, dass Rosa sie ausschalt, und Normalität brauchte sie im Moment ganz dringend. »Weshalb sollte ich den Haupteingang benutzen?«
»Wozu ist eine Haustür da, wenn keiner sie benutzt?«, klagte Rosa. Ihr Blick fiel auf
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