Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
sich nach ihr aus wie Klauen. Sie konnte den Sturm riechen, der sich über dem Meer zusammenbraute.
»Dr. Whitney! Ich dachte, Sie seien längst nach Hause gegangen.« Ein großer Wächter tauchte aus den Schatten auf. Er gehörte zu den älteren Männern mit weitaus mehr Berufserfahrung. Sie sah ihn ganz genau an und fragte sich, ob er vom Militär war.
Sie heuchelte Furcht und gab sich erschrocken. »Ich habe Sie nicht kommen hören.«
»Was tun Sie hier draußen?« In seiner Stimme schwang eine Spur von Sorge mit. Sie hatte keine Jacke an.
Der eiskalte Wind ließ Lily erschauern. »Luft schnappen«, antwortete sie schlicht und einfach. »Und mich fragen, ob ich nach Hause gehen und eine Weile schlafen soll oder ob ich nicht lieber einfach wieder reingehe und weiterarbeite, damit ich nicht damit konfrontiert bin, dass mein Vater nicht da ist.« Sie fuhr sich mit den Fingern durch das dichte Haar.
»Es ist kalt hier draußen, Dr. Whitney. Ich begleite Sie zu Ihrem Wagen.« Sein besorgter Tonfall ließ Tränen hinter ihren Augenlidern brennen und bewirkte, dass sich ihr die Kehle zuschnürte. Kummer wogte in ihr auf, stechend und unverkennbar. Den ganzen Tag über hatte sie ihre Sorgen und das Wissen um den Tod ihres Vaters verdrängt und durch ihre Arbeit in Schach gehalten und währenddessen die Folgen der Flucht bis ins kleinste Detail durchdacht. Ihr innerer Aufruhr wurde durch Schuldbewusstsein verstärkt. Falls bei der Flucht jemand zu Schaden kommen sollte, würde sie es sich selbst und keinem anderen zuschreiben müssen. Peter Whitney hatte ihr klar und deutlich gesagt, was er wollte. Er hatte ihr seine letzten Wünsche mitgeteilt, doch die Verantwortung trug letzten Endes sie.
Die Whitneys hatten schon genug falsch gemacht, und sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie nicht vielleicht mehr Schaden anrichten als Gutes tun würde. Was war, wenn die Männer außerhalb der Laborbedingungen nicht lebensfähig waren? Ihre Flucht würde Higgens den Vorwand liefern, den er brauchte, um jeden erdenklichen Plan zur Ausschaltung aller, die ihm in die Quere kamen, in die Tat umzusetzen. Für das Militär wären die Männer fortan Deserteure.
»Dr. Whitney?« Der Wächter nahm ihren Arm.
»Schon gut, mir fehlt nichts, danke.« Lily war nicht sicher, ob es ihr jemals wieder gutgehen würde. »Mein Wagen steht auf dem Parkplatz drüben beim ersten Wachturm. Sie brauchen mich nicht zu begleiten, mir fehlt wirklich nichts.«
»Das liegt ohnehin auf meinem Weg«, sagte er zu ihr und geleitete sie in die angegebene Richtung. Dabei versuchte
er, ihr mit seinem größeren und kräftigeren Körper Windschutz zu geben.
Auf dem Weg fühlte sie, wie sie innerlich erstarrte. Wissen keimte in ihr auf und entfaltete sich. Sie nahm die Bewegungen wahr, die Anwesenheit der anderen in der Nacht. Chamäleons – Schattengänger nannten sie sich, Phantome, die mit ihrer Umgebung verschmolzen und sich jedem Hintergrund anpassten. Sie waren im Dunkeln zu Hause, im Wasser, im Dschungel und in Bäumen. Sie waren Schatten inmitten von Schatten, konnten über ihr Herz und ihre Lunge gebieten und unsichtbar zwischen ihren Feinden umherlaufen. Lily fühlte sie, die Vibrationen ihrer Energien, die Macht, die sie besaßen, als sie sich über das Hochsicherheitsgelände voranbewegten und die Wächter mit reiner Willenskraft dazu brachten, in die andere Richtung zu schauen.
In ihrer Planung war vorgesehen, dass Lily zum Zeitpunkt des Ausbruchs weit weg war und ein hieb- und stichfestes Alibi hatte, doch sie hatte getrödelt, denn ihr Schuldbewusstsein und ihre Ängste hatten sie hier festgehalten. Die eigentliche Schwierigkeit bestand darin, in die Firma einzubrechen, wohingegen ein Ausbruch vom Firmengelände wesentlich einfacher sein sollte. Ryland Miller und all seine Männer besaßen übersinnliche Gaben in unterschiedlich hohem Maß. Lily wusste, dass Rylands Plan darin bestand, Colonel Higgens zu seiner Zelle zu locken, damit der Verdacht unmittelbar auf ihn fiel, weil er als Letzter in Rylands Nähe gewesen war, bevor die Männer entkommen konnten. Ryland würde die anderen befreien. Zu Beginn würden sie aus Sicherheitsgründen zusammenbleiben, damit jeder von den Gaben der anderen profitieren konnte, doch sowie sie das Gelände verlassen hatten,
war es weniger riskant für sie, wenn sie sich in alle Richtungen zerstreuten und sich paarweise oder einzeln zu ihrem Ziel begaben – Lilys Haus.
Sie gestattete ihrem Blick,
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