Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
Wie Lily. Er begann zu glauben, eben diesen Charakterzug besäße auch sie.
»Glaubst du, dass sie von Natur aus gewisse Anlagen besaß?«
»Dass sie übersinnlich veranlagt war? Das kann schon sein. Sie hat Dinge gewusst. Aber in erster Linie war sie eine ganz wunderbare Mutter. Sie hat mir erzählt, sie hätte Kurse besucht und Bücher gelesen, um herauszufinden, wie man ein Kind aufzieht.« Belustigung schlich sich in seine Stimme ein. »Offenbar habe ich nicht so reagiert wie die Kinder in den Büchern.«
»Darauf würde ich wetten.« Lily hätte ihn gern in ihre Arme gezogen und ihn getröstet. Sie konnte seine quälende Einsamkeit fühlen, und das setzte ihr zu. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Es schien keine Rolle zu spielen, wie vernünftig ihre Gespräche waren. Die Anziehungskraft, die Ryland auf sie ausübte, wuchs in seiner Gesellschaft. Das Bedürfnis, ihn glücklich und gesund zu sehen, entwickelte sich schnell zu einem wesentlichen Faktor für ihr eigenes Glück.
»Ich habe ihr eine Menge Ärger gemacht«, gab er zu. »Ich habe mich ständig mit anderen geprügelt.«
»Warum erstaunt mich das nicht?« Sie sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, aber das, was seine Aufmerksamkeit
auf sich zog, war das kleine Lächeln, das um ihre Mundwinkel spielte.
Er setzte sich auf die Bettkante und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Da, wo wir gelebt haben, waren wir eine Zielscheibe für gemeine Bemerkungen. Sowohl Mom als auch ich. Ich war kindisch genug, mir einzubilden, ich müsste uns verteidigen und auf uns beide aufpassen.«
»So bist du auch heute noch«, erwiderte sie. »Ich finde diesen Zug äußerst charmant an dir.« Sie seufzte bedauernd, da sie wusste, dass ihr die Zeit davonlief. Sie hielt sich gern in seiner Gesellschaft auf, und es machte ihr Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. »Ich muss jetzt gehen, Ryland. Meine anderen Projekte sind liegengeblieben, und ich habe eine Menge Arbeit. Ich komme heute Abend noch einmal, um nach dir zu sehen, bevor ich nach Hause gehe.«
»Nein, Lily, geh einfach.« Seine grauen Augen richteten sich fest auf sie. Die Ermattung war ihm in jedem Muskel anzusehen, als er aufstand. Er kam an die Gitterstäbe, obwohl ihm jeder einzelne Schritt Stacheln in den Schädel zu bohren schien.
Sie schnappte hörbar nach Luft. »Vielleicht solltet ihr besser doch noch etwas warten.«
»Das kann ich nicht riskieren, Lily. Verschwinde und komm nicht mehr her.«
Sie nickte und spitzte besorgt die Lippen. Ihr Profil war ihm zugewandt, und sie war so tief in Gedanken versunken, dass Ryland die Gelegenheit ergriff und sich den Luxus gestattete, ihre üppige Figur zu betrachten. Lily hatte keine harten Kanten, sie bestand nur aus weiblichen Rundungen. Den weißen Kittel hatte sie achtlos über ihre Kleidung gezogen. Er machte jede ihrer Bewegungen mit
und gab den Blick auf verlockend üppige Brüste frei. Beim Laufen spannte sich der Stoff ihrer Hose über ihrem runden Po und zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Ihr Körper war eine derartige Versuchung, dass er nicht länger darüber nachdenken konnte, ohne in Flammen aufzugehen. Er würde sie bekommen. Sie würde an seiner Seite sein, unter ihm liegen, in seinen Armen zum Leben erwachen und in Stücke zerspringen. Sie passte in jeder Hinsicht zu ihm. Sie hatte es bloß noch nicht akzeptiert.
»Sie tun es schon wieder, Captain«, ermahnte sie ihn behutsam, während unter ihrer blassen Haut Röte aufstieg.
Seine Hände ballten sich um die Stäbe seines Käfigs, und seine Handflächen juckten, weil sie unbedingt wissen wollten, ob ihre Haut sich so zart anfühlte, wie sie aussah. »Noch nicht, Lily, aber dahin kommt es schon noch.« Er sagte die Worte tonlos, denn in dem Moment war ihm gleichgültig, ob sie sie hörte oder nicht.
Sie stand da und wirkte einen Moment lang hilflos. Das entsprach ihr überhaupt nicht. »Pass auf, dass dir nichts zustößt«, flüsterte sie, bevor sie sich abwandte und ihn mit seinem Schmerz und seinem Schuldbewusstsein in dem Käfig, der ihn gefangen hielt, allein zurückließ.
7
DIE NACHT WAR unerwartet kalt. Lily erschauerte, als sie zu der schmalen Mondsichel aufblickte. Dunkle Wolken rasten über den Himmel und trübten die Sterne, die über ihr verstreut waren. Der Wind zerrte an ihrer Kleidungs und peitschte ihr Haarsträhnen ins Gesicht und in die Augen. Weiße Nebelfetzen strudelten und kreisten, schlängelten sich durch den dicken Maschendraht der Zäune und streckten
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