Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
Männern davongeschlichen. Ihre Aufgabe bestand jetzt darin, ihnen dabei zu helfen, wieder unter ihren Mitmenschen zu leben. Sie musste eine Möglichkeit finden, ihnen beizustehen, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen sollte. Sie hätte beim besten Willen nicht sagen können, ob es sich bei dem Wasser auf ihrem Gesicht um Regen oder um Tränen handelte.
Sie lehnte ihre Stirn an die Glasscheibe und starrte hinaus, ohne etwas zu sehen. Wie würden die Männer in einer Welt überleben, in der ungezügelte Gefühle brodelten, in einer Welt voller Gewalttätigkeit und Schmerz? Die Reizüberflutung konnte sie in den Wahnsinn treiben. Es war aberwitzig, sich einzubilden, sie würden es alle ohne Zwischenfälle bis in ihr Haus schaffen. Wie würde Ryland Miller überleben, wenn sie ihn nicht gegen den Rest der Welt abschirmte? Wie sollte er es ohne sie schaffen, selbst wenn es nur für eine kurze Zeitspanne war? Es konnte so leicht passieren, dass er von den anderen getrennt wurde. Er würde die schwächeren Männer mit Kaden vorausschicken und ihnen Rückendeckung geben. Das wusste sie, und sie akzeptierte es. Ryland würde die anderen beschützen
und erst dann an seine eigene Sicherheit denken. Und gerade dieser Zug an ihm war es, von dem sie sich so stark angezogen fühlte.
Als die Heftigkeit des Unwetters nachgelassen hatte, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Wagen. Auf dem Firmengelände herrschte Aufruhr. Wächter liefen kreuz und quer durcheinander, und Lichter brannten schockierend hell in der Nacht, glitten unablässig über die Schatten von Gebäuden und suchten ihre Beute. Der Nieselregen konnte die schockierten Ausrufe und den ohrenbetäubenden Lärm nicht dämpfen, als sich herumsprach, dass die Schattengänger entkommen waren. Die Käfige standen leer, und die Tiger liefen frei herum. Furcht breitete sich aus wie eine Krankheit. Lily konnte spüren, wie die Wächter sie verströmten, als sie um sie herumeilten. Das Gelände war vollständig abgeriegelt worden, und sie konnte nicht fort.
Der gefühlsmäßige Aufruhr, der auf dem Firmengelände ausgebrochen war, setzte ihr enorm zu. Sie konnte nur hoffen, dass Ryland und seine Männer weit genug weg und in Sicherheit waren und von diesen aufgeheizten Emotionen nichts mitbekamen. So wie die Dinge standen, bröckelten ihre eigenen Barrieren schon, denn der hohe Angst- und Adrenalinpegel, den die Wächter und die Techniker aussandten, hatte sie reichlich ramponiert. Sie wartete in ihrem Büro, bis es vorbei war, und presste sich die Hände auf die Ohren, um die Geräusche der kreischenden Sirenen zu dämpfen. Sie war froh, als der Lärm nach einer Weile abrupt abriss. Die plötzlich eintretende Stille war eine Wohltat für ihren zerspringenden Schädel. Lily stellte sich in ihrem privaten Bad lange und ausgiebig unter die Dusche und zog sich anschließend um.
Da sie häufig nachts hier arbeitete, hatte sie immer frische Kleidung zum Wechseln zur Hand.
Sie war nicht überrascht, als sie von zwei Wächtern aufgefordert wurde, sie ins Büro des Direktors zu begleiten, wo ein Verbindungsoffizier und der Vorstand von Donovans sie bereits erwarteten. Mit einem kleinen Seufzen, das ihren Widerwillen bekundete, fügte sie sich. Sie war körperlich und seelisch ausgelaugt und sehnte sich verzweifelt danach, sich vor der Welt zu verbergen.
Thomas Matherson, Phillip Thorntons Assistent, informierte sie kurz über den Stand der Dinge. »General Ronald McEntire war gerade zufällig hier, um der Firma einen Besuch abzustatten. Er hat General Ranier verständigt, den direkten Vorgesetzten von Colonel Higgens, und darauf bestanden, in die Vorfälle eingeweiht zu werden.« Der Assistent öffnete die Tür und bedeutete ihr, vor ihm einzutreten.
Lily konnte ihr Glück kaum fassen. Ein General, der nichts von dem Experiment wusste! Wenn sie eine Möglichkeit fand, mit ihm allein zu reden, konnte sie ihm ihren Verdacht bezüglich Colonel Higgens mitteilen. Die entsetzlichen Knoten in ihrem Bauch begannen sich zu lösen.
Das Kernstück des großen Raumes bildete ein riesiger runder Tisch. Jeder Stuhl war besetzt, und sämtliche Köpfe drehten sich zu ihr um. Die meisten Männer machten Anstalten, sich bei ihrem Eintreten zu erheben, doch sie winkte ab, damit sie sitzen blieben.
»Meine Herren.« Sie sprach leise, und ihre Stimme verströmte das gewohnte Selbstvertrauen. Sie wusste, dass ihr Gesichtsausdruck heiter und gelassen war. Schließlich hatte sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher