Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
der Auszubildende auf Miller losgegangen. Dem Captain blieb gar nichts anderes übrig, als sich selbst zu verteidigen und die übrigen Angehörigen seines Teams zu beschützen. Sie waren Freunde, enge Freunde, und er war gezwungen, den Mann zu töten.« Sie hatte den Angriff auf Band gesehen und wusste, wie schaurig und grausam es zugegangen war.
Noch schlimmer waren die Videoaufzeichnungen von Ryland Miller nach diesem Vorfall gewesen. Obwohl es nur ein Film war, den sie sah, hatte sie seine Empfindungen beinah spüren können. Das Schuldbewusstsein, die Frustration und die Wut. Er war hoffnungslos verzweifelt gewesen. »Sie müssen verstehen, Sir, dass Menschen mit paranormalen Fähigkeiten auf andere Stimuli reagieren als die, die wir wahrnehmen können, und sich durch sie provozieren lassen. Sie leben in derselben Welt wie wir,
aber im Grunde genommen in einer anderen Dimension. Daher ist die Grenzlinie, die wir zwischen hellseherischen Gaben und Wahnsinn ziehen, sehr schmal und manchmal gar nicht existent. Diese Männer sind ganz anders als alle Soldaten, die Sie jemals ausgebildet haben. Sie machen sich keine Vorstellung davon, wozu sie in der Lage sind.«
Lily trank wieder einen Schluck von ihrem Tee und genoss die Wärme, als sie ihren Magen erreichte. Der General konnte sich die Macht nicht vorstellen, die diese Männer besaßen. Aber sie wusste, wovon sie sprach.
»Weshalb hätten sie ausbrechen sollen, wenn sie sich über die Risiken eines Ausbruchs im Klaren waren?« Der General sah sich finster unter allen Anwesenden um. »Unter welchen Bedingungen haben sie hier gelebt?« Er deutete offensichtlich an, sie könnten misshandelt worden sein, und Lily musste gegen den Drang ankämpfen, mit der ganze Geschichte lauthals herauszuplatzen. Wie die Männer isoliert worden waren, voneinander abgeschnitten, aber auch von ihrem Oberbefehl, und dass man sie wie Tiere in Käfigen unter ständiger Beobachtung gehabt hatte. Sie laufend Tests unterzogen hatte.
Der Bleistift zwischen den Fingern des Generals brach in der Mitte durch; ein Ende flog auf Lily zu, das andere hielt er noch in der Hand.
Lily fing den Bleistiftstummel auf, bevor er vom Tisch rollte, und ihr Daumen glitt über den Radiergummi und nahm automatisch seine Struktur wahr, sog die Gefühle in sich auf, die er verströmte. Sie zuckte zusammen, warf einen schnellen Blick auf den General und wandte ihre Augen sofort wieder ab. Sie hatte ihm nichts erzählt, was er nicht bereits gewusst hatte. Er unterdrückte seine Wut darüber, dass Ryland Miller und sein Team entkommen
waren. Hier ging es um viel Geld. Und Ryland stand ihm im Weg.
Die Gefühle bestanden aus einer Mischung aus Brutalität und Ärger über einen durchkreuzten Plan. General McEntire steckte bis zu seinen buschigen Augenbrauen in Täuschungs- und Betrugsmanövern. Lily faltete ihre Hände sorgsam auf dem Tisch und gab sich so heiter und zuversichtlich, wie es ihr irgend möglich war, während sie McEntire in Wirklichkeit am liebsten an die Kehle gegangen wäre, ihn des Landesverrats bezichtigt und eine Antwort auf die Frage verlangt hätte, was er über den Tod ihres Vaters wusste.
»Die Lebensbedingungen, Colonel Higgens. Warum hätten diese Männer das Gefühl haben sollen, sie müssten von hier fliehen?«
»Sie waren voneinander isoliert«, sagte Lily, obgleich ihre Stimme ihr den Dienst verweigern wollte.
»Zu ihrem eigenen Besten«, fauchte Higgens. »Gemeinsam wurden sie zu mächtig und konnten Dinge tun, die wir nicht vorhergesehen hatten. Noch nicht einmal Ihr Vater hatte damit gerechnet, dass sie gemeinsam so stark sein würden.«
»Das ist kein ausreichender Vorwand, um die Menschenwürde zu vergessen, Colonel. Wir haben es hier mit menschlichen Wesen zu tun, mit Männern, die ihrem Land gedient haben, nicht mit Laborratten«, wandte Lily unterkühlt ein.
»Ihr Vater war der Alleinverantwortliche für dieses Experiment«, warf ihr Colonel Higgens daraufhin an den Kopf. »Er ist für die Ergebnisse verantwortlich.«
»So weit ich das ermitteln kann«, sagte Lily mit ruhiger Stimme, »hat mein Vater, Dr. Whitney, das Experiment in
gutem Glauben durchgeführt. Als sich deutlich herausgestellt hat, dass es den Männern schadet, hat er die Intensivierung ihrer seltenen Gaben augenblicklich eingestellt und sofort versucht, Möglichkeiten zu finden, wie er ihnen dabei helfen kann, mit den nachteiligen Konsequenzen umzugehen. Er wollte erreichen, dass die Männer besser im
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