Jägermond Bd. 2 - Im Auftrag der Katzenkönigin
gejagt worden«, sagte er leise.
Der junge Mann sah auf.
»Du? Und du lebst noch?«
»Knapp. Ich entkam in eine Felshöhle.«
»Ich habe ihn getötet. Er hatte mich im Nacken. Ich habe ihm das Messer ins Herz gestoßen.«
Es klang tonlos, trostlos, und Finn begriff Tanguys Leid auf einer neuen, seltsamen Ebene.
»Ich verstehe«, flüsterte er. »Wir töten Unseresgleichen nicht – Cougar.«
Tanguy nahm die Hände vom Kopf und sah ihn fassungslos an.
»Was?«
»Wir reden später darüber. Freund?« Er reichte ihm die Hand über den Tisch. Zu seiner Überraschung nahm Tanguy sie diesmal an.
»Was war das denn? Echt, das war ja die Show!«
»Rudi, setz dich. Und halt den Mund. Ich hole uns etwas zu trinken. Benehmt euch, Männer.«
Nathan verschwand im Haus, und Rudi blickte noch immer von einem zum anderen.
»Ihr kennt euch schon?«, fragte Finn, um der aufgeladenen Stimmung wieder etwas Normalität zu verleihen.
»Ja, wir trafen uns.«
»Der da hat mich angegriffen und gefesselt und wie einen Sack Müll hier abgeladen.«
»Nicht die schlechteste Methode, mit dir umzuspringen, Rudi. Ich war auch schon hin und wieder versucht, so etwas mit dir zu machen.«
»Was habt ihr bloß alle? Mann, ich geb mir solche Mühe. Ich hab jetzt alle Fährten gelernt.«
»Und auch welche gefunden?«
»Klar. Von Wildschweinen und von einem Wolf. Direkt hier vor dem Gartenzaun. Echt.«
»Wolf. Okay. Ungefähr zwanzig Zentimeter hoch, weiß, mit kurzem Schwanz und Kulleraugen, nehme ich an.« Finn grinste Tanguy an. »West Highland-Terrier, kam vor einer halben Stunde hier vorbei.«
Nathan brachte zwei Flaschen Wasser und einen Krug Saft mit, und Tanguy, der wieder Farbe im Gesicht hatte, stand auf und holte Gläser und Chips.
»Was ist in der Tüte da, Tanguy? Hast du nach Rudi noch mehr Müll im Wald gesammelt?«, fragte Finn.
Diesmal zuckte sogar ein kleines Lächeln über dessen Lippen.
»Fand ich im Wald. Es treiben sich very strange people da herum.«
»Ja, die Bekloppten werden mit jedem Tag mehr.«
»Krank, nicht?«, meinte Rudi, der in die Tüte gegriffen hatte und eine rote Unterhose herauszog.
»Was hat deine denn für eine Farbe?«
Finn lugte vorsichtig in die Tüte.
»Sach ich nicht!«
Gerade wollte Finn vorschlagen nachzuschauen, als er die Witterung aufnahm. Mit spitzen Fingern zog er die Kleider heraus. Graubeigefarbener Pullover, beige Hose, Socken, erdverkrustete Schuhe, eine schmale Tasche, ein Schlüsselbund.
»Wo hast du das gefunden, Tan?«, fragte Nathan.
»Am Dolmen begraben.«
»Begraben ist gut. Im oder am?«
Tanguy biss sich auf die Lippen, und Finn stellte die Frage auf Englisch.
»Neben dem Dolmen«, lautete die Antwort.
Finn öffnete die Ledertasche und zog ein Portemonnaie und ein Etui heraus. Als er es aufklappte, fand er den Ausweis.
»Scheiße«, entfuhr es ihm. »Ich wusst’s doch. Sepp Sebusch.«
»Du kennst den Mann?«
»Ich suche ihn.«
»Er ist weg.«
»Klar.«
»Ich habe ihn gesehen.«
»Tan? Wann hast du ihn gesehen?«, wollte auch Nathan wissen.
Und so erfuhren sie von dem nackten Mann, der vor zwei Tagen in den Dolmen gekrochen war.
Finn und Nathan sahen sich an.
»Aber in dem Dolmen ist doch nichts«, platzte Rudi heraus. »Der endet an dem hinteren Stein.« Und dann begann er zu kichern. »Aber vielleicht gibt’s da ja eine Dimensionslücke. Und dieser Sepp turnt jetzt in einem Paralleluniversum herum.«
Wieder sahen Finn und Nathan sich schweigend an.
Tanguy hingegen fragte vollkommen ernst: »Gibt es denn solche Lücken, Rudi?«
Rudi schien sich geschmeichelt zu fühlen und wurde ernst.
»Theoretisch ja. Oder zumindest haben Physiker schon über die Multiversen nachgedacht. Es ist ja nicht so, dass wir Menschen im Besitz der vollkommenen Wahrheit sind. Unsere Erkenntnisse sind begrenzt durch unsere Sinne und unser Denkvermögen. Seht ihr, wir haben uns doch schon lange von diesem putzigen Atommodell verabschiedet, in dem kleine positive und negative Kügelchen den Kern bilden und noch kleinere Kügelchen drum herumflitzen. Die heutige Vorstellung von Atomen sieht ganz anders aus. Wir sprechen da von weit kleineren Teilchen, den Quarks …«
»Quarkteilchen, okay. Rudi, wir glauben dir«, sagte Finn.
»Lass ihn, Finn. Es ist ein Versuch, das Unglaubliche zu erklären«, meinte Nathan, und so ließ er Rudi über die vier Grundkräfte der Physik, die große vereinheitlichende Theorie, Welle-Teilchen-Verhalten und viele andere faszinierende
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