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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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über dem unteren.
Ich beugte mich vor, um den Grund für die größere Lücke herauszufinden. Im
schwachen Licht der Glühbirne bemerkte ich einen Schimmer zwischen den
Brettern. Vielleicht steckte dort etwas fest.
    Neugierig schob ich den Zeigefinger in die Lücke. Zu meiner Überraschung
hob sich die ganze Stufenabdeckung. Ich klappte das Brett wie einen Deckel
hoch. Das Blinken rührte von einem Scharnier her. Verblüfft starrte ich in den
Hohlraum, der sich darunter auftat. Darin lag ein langer Gegenstand, der in
eine verblichene, ehemals geblümte Wachstuchdecke eingeschlagen war.
    Ich zögerte nur kurz. Dann griff ich nach dem Ding, zog es heraus und
schlug das steife Plastik auseinander. Ein doppelläufiges Jagdgewehr lag vor
mir, wie ich bisher noch keines gesehen hatte. Es wirkte altertümlich, war kurz
und klobig. Der Schaft und der Lauf glänzten wie frisch poliert. Ein leichter
Geruch von Waffenöl stieg auf.
    In Steiners Wohnung hatte ich einen Waffenschrank gesehen. Alle darin
verwahrten Gewehre waren mit Sicherheit registriert. Aber dieses hier? Hatte
Vinzenz Steiner eine illegale Waffe in der Abstellkammer versteckt, die er nur
für bestimmte Gelegenheiten hervorholte? Ich dachte an den Bauernschrank in
meinem Zimmer mit der spöttischen Wildererszene. Steiner war in seiner Jugend
ein Bandenmitglied gewesen. Trotzdem schien mir dieses Geheimversteck für ein
altes Jagdgewehr ziemlich übertrieben. Nachdenklich wickelte ich das Gewehr
wieder in die Wachstuchdecke und legte es auf den Boden. Dann beugte ich mich
über die Stufe, neugierig, was ich noch finden würde.
    Da hörte ich hinter mir scharfes Metall über Stein schaben. Dann knallte
etwas auf den Boden. Es klang so, als wäre die Schneeschaufel umgefallen.
Erschrocken hob ich den Kopf. In diesem Moment sauste ein raues blau-gelbes
Seil über meinen Kopf und legte sich um meinen Hals. Kurz empfand ich
Befriedigung, als mir klar wurde, dass es das Bergsteigerseil gewesen war, das
am Garderobenbrett gefehlt hatte. Dann schloss sich das Seil mit einem
schneidenden Schmerz um meinen Hals.
    Ich stürzte nach hinten. Für den Bruchteil einer Sekunde ließ der Zug
nach, gerade genug Zeit, um meine rechte Hand zwischen das Seil und meinen Hals
zu schieben. Jemand warf sich über mich. Ein starker Arm legte sich über mein
Gesicht. Ich bekam keine Luft mehr, als mein Angreifer versuchte, mein Gesicht
gewaltsam nach hinten zu drehen. Er will mir den Hals
umdrehen! Meine Hand berührte etwas Glattes, Kaltes. Das Gewehr.
Inzwischen wusste ich, wie schwer eine Jagdwaffe war. Ein Schlag mit dem
Gewehrkolben musste jeden Knochen splittern lassen. Eher würde ich den Mörder
selber töten, als dass er mich kriegte. Ich krallte meine Finger in das steife
Plastik. Für einen Moment ließ mich mein Angreifer los. Dann packte er mich
umso fester und riss mich an sich. Ich versuchte, das glatte Paket
festzuhalten, aber es entglitt mir. Das Gewehr war weg. Ich hatte meine einzige
Waffe verloren. Wie verrückt trat ich um mich, traf hart auf Knochen und
Fleisch. Jemand stöhnte laut auf.
    Dann wurde es kalt. Jemand hatte die Tür geöffnet, und ich hörte rennende
Schritte. Mein Angreifer wurde von mir fortgerissen. Hustend und würgend wälzte
ich mich zur Seite. Durch den roten Nebel vor meinen Augen konnte ich die
unscharfen Umrisse zweier Männer sehen, die erbittert miteinander kämpften. Ich
drehte mich weg, um Luft zu holen und wieder zu Atem zu kommen. Da brach der Kampflärm
ab.
    Eine Hand packte meinen Arm, und voller Entsetzen erkannte ich eine
vertraute stählerne Armbanduhr. Ich hob den Blick. Direkt vor mir schwebten die
weit aufgerissenen Augen von Viktor Thurner.

ACHTZEHN
    Grüne Hirsche sprangen durch den Schnee. Es war ein ganzes
Rudel. Ich schaute ihrem wilden Treiben zu, bis sie sich beruhigten, langsamer
wurden und endlich im Sprung erstarrten. Der Schnee unter ihren Hufen hatte
Wellen. Die Landschaft schien mir vertraut. Dann erkannte ich den Vorhang vor meinem
Zimmerfenster. Warum hatte ich ihn nicht zugezogen? Hinter den Scheiben
wirbelten und tanzten Schneeflocken und verdichteten sich zu grauen Spinnweben.
    »Frau Doktor …« Ein breites Gesicht neigte sich über mich. »Na?
Ausgeschlafen?« Wetti stand neben meinem Bett.
    Das Zimmer war in warmes Licht getaucht. Nur die Schreibtischlampe
brannte, doch ihr Schein erreichte die Zimmerecken nicht.
    »Was …«, krächzte ich. Etwas hinderte mich daran, meinen Kopf zu
drehen. Als ich an den

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