Jagablut
Hals fasste, spürte ich ein dickes Handtuch, das
darumgewickelt war. Die Abstellkammer fiel mir wieder ein, die Spinnweben über
dem Kaminholz, das würgende Seil. Ich versuchte, das Handtuch zu lösen.
»Pscht.« Wetti zog meine Hand weg. »Den Salbenverband müssen S’ noch
ein wenig drauflassen. Den hab ich Ihnen gegen die Schwellung gemacht und gegen
die blauen Flecken. Unser Herr Pfarrer persönlich hat extra frisches
Murmeltierschmalz für Sie vorbeigebracht.«
»Frisches …?«
»Murmeltierschmalz.« Auf Wettis Wangen erschienen Grübchen. »Das hat
Ihnen doch beim letzten Mal auch recht gut geholfen.« Es klang, als hätte ich
damals eine simple Halsentzündung gehabt. »Immer wenn der Herr Pfarrer ein
Murmeltier schießt, lässt er nachher das Fett aus. Diesmal hat er’s sogar
selbst abgegeben.« Die Hochachtung in ihrer Stimme galt wohl mir, ihrer
prominenten Patientin.
Auf dem Gang waren Schritte zu hören. Die Tür ging auf, und Viktor stand
im Zimmer. Er trug eine Daunenjacke, und in der Hand hielt er einen Teller.
Sein Haar war dunkel vor Nässe und stand in Stacheln zu Berge. Schlagartig
kehrte meine Erinnerung zurück. Die Kampfgeräusche. Die Stahluhr. Die
aufgerissenen Augen.
Hastig setzte ich mich auf. Mit einem Lächeln legte mir Wetti ihre
kräftigen Kellnerinnenhände auf die Schultern und drückte mich zurück in die
Kissen. Alle hatten sich gegen mich verschworen. Mein Feind kam näher.
»Hilfe«, krächzte ich.
»Hey«, sagte Viktor und hielt mir den Teller unter die Nase. Süßer Dampf
stieg von warmem Schmalzgebäck auf. »Das volle Verwöhnprogramm für unser
Mädel.« Von den Schultern seiner dicken Steppjacke perlte zu Wasser
geschmolzener Schnee. »Du bist ja schon wieder ganz schön lebendig.« Auf dem
Teller lagen frisch gebackene Apfelküchlein, liebevoll mit einem Klecks
Preiselbeermarmelade garniert, daneben eine Kuchengabel und eine Papierserviette.
»Die schickt dir die Hansi. Damit du wieder zu Kräften kommst, hat sie
gemeint.«
Wetti nahm Viktor den Teller ab und stellte ihn in meine Reichweite auf
den Nachttisch. Dann sagte sie, sie müsste wieder an die Arbeit gehen, und
verschwand mit einem Kopfnicken. Viktor spazierte zu meinem Ohrensessel, ließ
sich hineinfallen und streckte die Beine aus. Er wirkte müde. Von den
Profilsohlen seiner hellen Schnürstiefel tropfte Schmelzwasser auf die Holzdielen
und sammelte sich in kleinen Seen aus Eis und Schnee. Er stützte das Kinn in
die Hand und schaute mich an.
Endlich sagte er: »Hatte ich dich nicht vor dieser Schnüffelei gewarnt?«
Ich schluckte, was mir schwerfiel.
»Der wollte dich umbringen, das ist dir hoffentlich klar.« Er fuhr sich
mit der Hand durch sein nasses Haar. Dann grinste er. »Ist ihm wieder nicht
gelungen, wie man sieht.«
»So ein Stümper, soll das wohl heißen. Bist du gekommen, um dich davon zu
überzeugen?« Ich ballte die Fäuste unter der Bettdecke.
»Nein, eigentlich warte ich auf einen Patienten. Da wollte ich noch
schnell nach dir schauen.«
»Das ist … nett.«
»Immer wieder gerne.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich hab
in der Praxis hinterlassen, wo ich bin. Die Bergrettung hat einen
Lawinensuchhund im Einsatz, der sich gerade verletzt hat. Tasso ist mein
Patient. Ich muss sowieso warten, bis sie ihn vom Berg runter bringen.«
»Wer war’s?«
Er musterte mich. »Wer es auf dich abgesehen hatte?«
Ich nickte.
»Na, der Kaml Schorsch, wer denn sonst?«
»Kaml?« Die offene Tür der Abstellkammer
fiel mir wieder ein. Das Dunkel hinter den alten Gartengeräten und die
umstürzende Schneeschaufel. Kaml musste mir aufgelauert haben. Ich zog mir die
Bettdecke über die Schultern.
Viktor nickte. »Ich hatte ihn schon länger in Verdacht, und als ich ihn
auf dem Friedhof nicht gesehen habe und du mit so entschlossener Miene zum
Jagawirt zurück bist …« Sein Ton wurde ernst. »Gut, dass ich dir
nachgegangen bin.«
Ich nickte, soweit das mit dem dicken Handtuch um meinen Hals möglich
war. »Wann bist du denn auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet Kaml …?«
»Gleich als du mir von dem ersten Überfall auf dich erzählt hast.« Er zog
seine Daunenjacke aus und ließ sie achtlos zu Boden gleiten. Dann lehnte er
sich zurück und verschränkte die Hände vor der Brust. »Du hast immer Schritte
vor deiner Tür gehört, oder?«
Wieder konnte ich nur nicken. Mein Hals tat höllisch weh.
»Also musste es jemand aus dem Haus sein. Der Jagawirt ist
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