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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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das Messer und sticht zu …«
    »… er trifft die Hauptschlagader und Steiner bricht zusammen.« Ich
sah das blutgetränkte grüne Hemd vor mir. Die Hände, die den Griff des
Jagdmessers umklammerten. »Warum hat Kaml dann noch mit dieser grässlichen
Trophäe zugeschlagen? Der Stich allein wäre doch schon tödlich gewesen.«
    Viktor verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Das ist jetzt genau der
Punkt«, sagte er. »Der Schorsch behauptet, er hätte die Trophäe gar nicht
angefasst. Er sagt, er ist gleich nach dem Messerstich in Panik geflohen.«
    Deswegen hatte sich Kaml so gesträubt, uns bei unserer Suche die
Wohnungstür aufzuschließen. Er hatte gewusst, dass dahinter ein Toter liegt.
Nur die Trophäe der weißen Gams auf dem Gesicht seines Herrn hatte ihn
überrascht. Kein Wunder, dass er die Nerven verloren hatte. Er ist zurück, er ist zurück. Hatte er gedacht, Simon Munz wäre
auferstanden, um Rache zu nehmen? Ich erinnerte mich daran, wie Kaml ängstlich
durch den Gasthof geeilt und Fenster und Türen verschlossen hatte. Aber vor dem
Gespenst seines Opfers war er nirgends sicher.
    »Stell dir vor, Schorschs Geständnis wäre nach dem Mord aufgetaucht. Dann
hätte die Polizei Täter und Tatmotiv auf einen Schlag gehabt.« Viktor fuhr mit
der flachen Hand durch die Luft. »Während wir auf der Beerdigung waren, hat Schorsch
noch einmal Steiners Wohnung durchsuchen wollen. Aber an der Tür war ein neues
Schloss. Also musste er den geheimen Zugang nehmen, den er auf seinen
Erkundungstouren zufällig entdeckt hatte.« Er schenkte mir ein schmales
Lächeln. »Und dann hat er dich kommen hören.«
    Der Weg hinter dem Haus, immer im Schatten, war vereist gewesen. »Der
Kies hat so laut geknirscht.«
    »Genau. Also konnte er nur noch schnell das Seil schnappen, das Licht
ausmachen und sich verstecken. Wenn du nicht über die Stufe gestolpert wärst,
hättest du ihn gar nicht bemerkt.«
    Und Kaml hätte weiter nach seinem Geständnis gesucht. Wenn Kaml nur das
Jagdmesser benutzt hatte, wer hatte dann die Gams-trophäe von der Wand geholt
und damit zugeschlagen? »Das heißt doch aber«, sagte ich, »dass wir es die
ganze Zeit mit zwei Tätern zu tun hatten, oder?«
    Etwas tappte über das Fensterbrett. Viktor schien das Geräusch nicht
gehört zu haben. Er nickte bedächtig.
    »Und immer noch haben«, meinte er.
    Draußen ertönte der Schrei eines Raubvogels. Kurz huschte sein Schatten
am Fenster vorbei, dann verschmolz er mit den tanzenden Schneeflocken und war
unsichtbar.
    »Eine Eule«, sagte Viktor. »Ihr Gefieder ist so weich, dass sie fast
lautlos fliegen können.« Er strich sich mit der Hand über das Kinn. »Ja, ich fürchte,
du hast recht. Unser Mörder läuft noch frei herum.«
    »Und wenn es doch Wenghofer war?« Schon öfters hatte ich gelesen, dass
die Verzweiflung ungeahnte Kräfte verleihen konnte. »Ich habe ihn vor ein paar
Wochen in Steiners Wohnung ertappt. Direkt unter der Gamstrophäe. Er war außer
sich. Und weißt du, wie er ihn genannt hat?« Ich konnte mir ein Schmunzeln
nicht verkneifen. »Einen Fallott. «
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte Viktor. »Diese Gams war das letzte Wild,
das Simon erlegt hat. Dass Steiner sich das Ding an die Wand gehängt hat –
das war blanker Hohn.«
    Geieralm 1968 . Als hätte Steiner sich den Kopf
seines Mordopfers an die Wand gehängt. Unter wessen Dach war ich gezogen? »Warum
hat sich Wenghofer überhaupt im Jagawirt einquartiert?«
    »Er hat die Wahrheit gesucht.« Viktor schaute zum Fenster hinüber, als erwarte
er, dass die Eule zurückkehrte. »Und als er sie erfahren hat«, er wandte mir
das Gesicht zu, »als er sicher war, dass sein Sohn sich nicht erschossen hat …«
Viktor legte den Zeigefinger an die Schläfe, als hielte er sich eine Pistole an
den Kopf.
    Ich dachte an mein Gespräch mit den Stallners. Hatte Wenghofer uns
belauscht? Wenn er gehört hatte, dass sein Sohn ermordet worden war, dann war
sein Selbstmord keine Verzweiflungstat gewesen. Dann hatte er endlich erfahren,
was er wissen wollte. Ob sein Freitod als Mordgeständnis gewertet werden würde,
konnte ihm egal sein. Ich schluckte. »Woher weißt du das?«
    Irgendwo im Haus fiel eine Tür zu.
    »Der Wenghofer hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.«
    »Ach …« Das konnte nur das Stück Papier gewesen sein, das Walter
Grabner dem Pfarrer zugesteckt hatte. Wahrscheinlich hatte der Polizist es bei
der Leiche gefunden. Der Pfarrer hatte es in seine Manteltasche

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