Jagd auf Mrs. Pollifax
riesigen Koffer und händigte ihr schließlich ein Paar schwarze Strümpfe und Schuhe Größe 36 aus, die aussahen wie jene von Tatjana. »Nehmen Sie sie mit«, wies er sie an, und seien Sie pünktlich um achtzehn Uhr wieder hier!«
Kadi kehrte sofort zum Wohnwagen zurück und zog aus ihrem Rucksack den Zeichenblock, den sie - vor einer Ewigkeit, wie ihr nun schien - nach New Haven mitgenommen hatte. Ein Rummel würde eine großartige Gelegenheit sein, Gesichter zu skizzieren, fand sie.
Mrs. Pollifax war ebenfalls im Wohnwagen und hatte einen Notizblock auf dem Schoß liegen. »Ich soll eine Journalistin spielen, die einen Artikel über den Rummel schreibt, und muß mich daher mit den Rummelleuten eingehend unterhalten«, erklärte sie Kadi. »Ich bin dem Schicksal, Karten legen zu müssen, gerade noch um Haaresbreite entgangen.«
Abrupt setzte sich Kadi nieder und stützte die Ellbogen auf ihren Rucksack. »Mrs. Pollifax ...«
»Jetzt Mrs. Reed«, wurde sie freundlich belehrt.
»Reed - Reed«, murmelte Kadi, »aber warum? Und - Sie sagten, Sie würden es mir erklären, nicht wahr? Daß wir ausgerechnet hierhergekommen sind - und plötzlich sind Sie nicht mehr Mrs. Polli... Ich meine, plötzlich sind Sie Mrs. Reed.«
Mrs. Pollifax nickte. »Ja, ich glaube, ich muß Sie einweihen.« Sie setzte sich neben Kadi auf den Bettrand. »Aber es ist spreng vertraulich! Verstehen Sie?«
»Ja.« Kadi beobachtete ihr Gesicht.
Leise sagte Mrs. Pollifax: »Sie haben bestimmt von der Central Intelligence Agency in diesem Land gehört, der CIA?«
Kadi nickte.
»Vor ein paar Jahren, während einer schwierigen Phase in meinem Leben ... « Sie lächelte bei der Erinnerung.»... bewarb ich mich bei der Agency. Ich dachte mir gar nichts dabei. Mein Leben war in einer Sackgasse angelangt, und ich wollte alles, was hinter mir lag, vergessen. Der Mann, der mich interviewte
- ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erstaunt oder vielmehr entsetzt er über mein Ansinnen war -, wollte mich so rasch wie nur möglich loswerden. Aber durch Zufall bemerkte mich ein Mann, der im Augenblick gerade nach jemandem wie mir suchte und fand, daß ich einen brauchbaren Kurier abgeben würde. Ich mußte lediglich eine ›harmlose Touristin‹ spielen, weiter nichts. Diesen ersten Auftrag habe ich nur mit viel Glück überlebt«, sagte sie trocken. »Aber er endete mit Erfolg, und seither wurde ich mit weiteren Aufträgen im Ausland betraut. Als ich Sie in meiner Rumpelkammer entdeckte, war ich - nun, sagen wir, hatte ich einige Erfahrung mit Überraschungen. Und als ich vom Krankenhaus aus telefonierte, setzte ich mich mit jemandem im Department in Verbindung.«
Kadi, die sie mit großen Augen beobachtete, sagte nach einigem Zögern: »Sie meinen - der Zufall hat mir geholfen, die einzige Person zu finden, die mir helfen konnte?«
»Nicht die einzige«, wehrte Mrs. Pollifax bescheiden ab, »aber eine der wenigen. Auch ich erlebte eine Überraschung: dieser Rummel wird von meinem - meinen Freunden unterstützt, da er dem Department als sicheres Versteck für Personen dient, die nicht gefunden werden dürfen. Willie hat mir das vergangene Nacht alles erzählt. Die Leute glauben, daß Willies reicher Onkel dem Rummel unter die Arme greift, wenn er seine Rechnungen nicht bezahlen kann. Ich finde das außerordentlich einfallsreich und schlau. Doch einem Mann, den Willies reicher Onkel hierhergesandt hatte, wurde gestern nacht, während wir unterwegs waren, ein Messer in den Rücken gestochen, und man hat mich gebeten zu helfen. Aber nur für ein paar Tage!« fügte sie entschieden hinzu.
»Wow!« sagte Kadi bewundernd. »Darf ich auch helfen?«
Mrs. Pollifax lächelte. »Sie können helfen, indem Sie mich Emmy nennen oder Mrs. Reed und die Augen offenhalten und mir Bescheid geben, wenn Sie etwas Ungewöhnliches bemerken. Nur«, fügte sie mitfühlend hinzu, »fürchte ich, daß uns eine ganze Menge ziemlich ungewöhnlich vorkommen wird. Beispielsweise ...« Sie blickte auf ihre Liste, »...werde ich jetzt die Schlangenfrau aufsuchen. Was beabsichtigen Sie inzwischen zu tun?«
»Personenskizzen zu machen«, antwortete Kadi. »Zur Übung.«
Mrs. Pollifax blickte sie nachdenklich an. »Eine sehr gute Idee. Es könnte natürlich sein, daß einige sich nicht skizzieren lassen wollen. Sie könnten vielleicht beha upten, daß Willie Ihnen eine eigene Konzession als Schnellzeichnerin versprochen hat, wenn Sie Ihre Sache gut machen.«
Kadi beugte sich zu ihr herüber und
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