Jagd auf Mrs. Pollifax
küßte sie auf die Wange. »Ich bewundere, wie schnell und logisch Ihr Verstand arbeitet.«
»Und falls irgend jemand wissen will, was Sie hier machen, dann sagen Sie nur, daß Sie ›dazugehören‹.«
»Dazugehören?«
»Ich nehme an, zum Rummel. Willi hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß man das sagt. Also sagen Sie ihnen, daß Sie dazugehören.«
»Dazugehören!« murmelte Kadi wehmütig. »So ein schönes Wort!« Sie öffnete die Tür und machte sich mit Skizzenblock und Bleistift daran, die faszinierende Welt des Rummelplatzes zu erforschen.
Mrs. Pollifax kramte Streichhölzer hervor und verbrannte ihre Liste der Verdächtige n. Dann verließ auch sie den Wagen. Es war kurz nach fünfzehn Uhr, als sie das Zentrum des Platzes erreichte und ein Polizeiauto neben dem großen Zelt geparkt sah, welches das Zehn-in-Einem genannt wurde. Ein uniformierter Polizist stand daneben. Mrs. Pollifax' Blick schweifte nach rechts, als ein zweiter Polizist eine außerordentlich jung aussehende Person aus dem Zelt führte, die in den ausgestreckten Armen, wie eine Opfergabe, eine polierte Mahagonischatulle trug. Mrs. Pollifax ging langsamer. Sie war sich nicht sicher, ob diese Person eine junge Frau oder ein Junge war. Er oder sie war gertenschlank, hatte orangefarbenes Haar im Punkerstil und trug ein straff sitzendes, rosafarbenes Trägeroberteil und schwarze Leggings. Erst als Mrs. Pollifax die hohen Absätze und die kleinen Wölbungen unter dem Trägeroberteil bemerkte, war ihr klar, daß es sich um eine junge Frau handelte. Ihr Gesicht war nicht weniger erstaunlich als ihr langer, schmaler Körper, es hatte scharfe und doch feine Züge und einen scharlachroten Strich als Mund.
»Sie hat alle ihre Messer, Lieutenant«, rief der Polizist seinem wartenden Kollegen zu. »Sie sind anders, keinerlei Ähnlichkeit.«
»Wollen mal sehen«, sagte der Lieutenant. »Sie sind Jasna?«
Die junge Frau nickte und stellte die Mahago nischatulle auf die Motorhaube des Wagens. Während sie das Kästchen öffnete, sagte sie mit leichtem Akzent: »Damit arbeite ich. Die Schatulle bleibt verschlossen. Sie ist immer verschlossen, bis ich mit meiner Darbietung beginne.« Mrs. Pollifax, die im Schatten einer Bude stehengeblieben war, sah, wie der Lieutenant ein Maßband zum Vorschein brachte, eines der langen spitzen Messer aus der Schatulle nahm und es abmaß. »Sie werfen damit? Nach einem Mann?«
Sie nickte gleichmütig. »Ja.«
»Sie treffen nie daneben? Es macht ihm nichts aus?«
»Er hat es mir selbst beigebracht.« Sie zuckte die Schultern. »Früher stand ich an der Wand, und er warf die Messer nach mir.«
Zwischen den zwei Buden erschien ein Bärtiger in langem Cape. Er hielt den Kopf schräg nach oben und seine Augen waren hinter einer dunklen Brille verborgen. »Jasna?« rief er. »Jasna?«
»Hier bin ich, Papa!« rief sie.
Er tastete sich mit einem Stock auf sie zu, und Mrs. Pollifax wurde bewußt, daß er der Blinde war, den Willie in der Nacht erwähnt hatte. Die beiden Polizisten, die ihm entgegenblickten, wirkten bestürzt. »Großer Gott, er ist blind!« murmelte der Lieutenant.
»Wenn Sie es unbedingt wissen müssen«, sagte das Mädchen kalt. »Aber er war in Europa sehr berühmt, ehe er sein Augenlicht verlor!« Sie wandte sich an den alten Mann. »Ist schon gut, Papa. Sie wollten sich nur die Messer ansehen, um sicherzugehen, daß keines fehlt, oder feststellen, ob ich ...« Sie blickte die beiden Polizisten amüsiert an. » ... ob ich herumlaufe und versuche, andere umzubringen.« Der Stock ihres Vaters fand den Wagen und verharrte, er wirkte bei seiner Suche nach Jasna so lebendig wie eine Hand. »Ich bin hier, Papa, auf der anderen Seite«, sagte sie sanft. »Da Sie die Messer gesehen haben, dürfen wir nun gehen?«
Der Lieutenant zog eine Fotografie aus seiner Brusttasche. »Nach der Tiefe und Breite der Wunde, müßte es so ein Messer gewesen sein.« Er reichte Jasna das Foto. »Haben Sie je ein solches Messer gesehen?«
»Es sieht aus wie ein Küchenmesser«, antwortete sie abfällig. »Sie sollten lieber im Küchenzelt nachfragen.«
»Ich würde es eher Dolch nennen«, widersprach der Lieutenant.«
Jasna zuckte die Schultern. »Jedenfalls ist es keines meiner Messer.«
Mrs. Pollifax beschloß weiterzugehen, bevor man sie bemerkte. Sie eilte durch den Durchgang, aus dem Jasnas Vater gekommen war, ging um die Rückseite des Zehn-in-Einem herum und gelangte ein Stück weiter unten wieder auf den mittleren, durch den
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