Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
Wolfe ist. Ich hab ihn gesehen, bevor ich hierherkam.«
»Wo?«, fragte Marty.
»In Labor Nr. 9.«
Auch Butch McCall wusste inzwischen, wo Wolfe sich aufhielt, wenn seine Kennmarke deaktiviert war.
Denn auch ihm war Wolfes gelegentliches Verschwinden aufgefallen. Anders als Marty hatte Butch jedoch relativ schnell gemerkt, dass Wolfe ziemlich regelmäßig alle vier Stunden abtauchte, und zwar rund um die Uhr. Und dass er peinlich genau darauf bedacht war, seine Kennmarke in jeweils unterschiedlichen Bereichen des Schiffes zu deaktivieren und danach wieder zu aktivieren, so dass niemand mit Gewissheit sagen konnte, wo genau er sich in der halben oder Dreiviertelstunde aufhielt, die er nicht auf dem Bildschirm zu sehen war. Butch hatte außerdem festgestellt, dass Wolfe seine Kennmarke immer dann deaktivierte, wenn er alleine war. Aus all diesen Beobachtungen hatte Butch mehrere Schlussfolgerungen gezogen. Erstens: Die Eier waren sehr wohl an Bord der »Coelacanth« und die Jungen bereits geschlüpft oder kurz davor, es zu tun. Zumindest hielt Wolfe sie offenbar für überlebensfähig. Zweitens: Wolfe war vermutlich der Einzige, der wusste, wo sich die Eier befanden, denn die Kennmarken aller anderen Bordmitglieder waren rund um die Uhr aktiviert, auch die der Kinder. Würden diese den Aufbewahrungsort der Eier kennen und bei der regelmäßigen Kontrolle helfen, dann würde Wolfe auch ihre Kennmarken in gewissen Abständen deaktivieren. Drittens: Wenn Wolfe diesen Turnus beibehielt, dann hätte Butch zu gegebener Zeit genau vier Stunden Zeit, um sich die Eier oder die frisch geschlüpften Tiere unter den Nagel zu reißen.
Blieb also nur die Frage, wohin genau Wolfe verschwand. Doch auch dieses Rätsel hatte Butch relativ schnell lösen können, nämlich direkt im Anschluss an Wolfes Spuk-Standpauke in der Kantine – wobei Wolfe ihm unfreiwillig geholfen hatte, Butch selbst aber auch ein beträchtliches Risiko eingegangen war.
Bereits in den Tagen vor Wolfes Standpauke hatte Butch sich eine ausgeklügelte falsche Identität als Tarnung zugelegt: Er trat als Dr. Dirk O’Connor auf, als ein kräftig gebauter, aber sanfter und liebenswürdiger Meeresbiologe, der im Auftrag der NZA unterwegs war. (Das Pseudonym hatte er zu Ehren seines alten Pitbulls gewählt.) Und wie es der Zufall wollte, hatte ihm ein ahnungsloser Forscherkollege namens Dr. Seth A. Lepod während ihrer dritten Nacht an Bord auch noch unfreiwillig geholfen die Tarnung weiter auszubauen.
In jener Nacht waren sie von einem starken Sturm heimgesucht worden und Butch war zufällig gerade in dem Moment an Dr. Lepods Labortür vorbeigegangen, als dieser versuchte eine Katastrophe zu verhindern.
Wegen des Sturms waren viele Crewmitglieder auf den Beinen gewesen und Butch hatte sich die Unruhe an Bord zu Nutze gemacht und erst die Sicherungsgurte des Hubschraubers gelöst und dann ein paar weitere Kameras unschädlich gemacht. Als er gerade den Laborgang entlangwankte, um sich zu der besorgten Crew zu gesellen, wurde das Schiff breitseits von einer riesigen Welle getroffen, wahrscheinlich der Welle, die den Helikopter von Bord spülte. Drei Sekunden später stürzte ein kopfloser Dr. Lepod hilfeschreiend aus seinem Labor.
Die Wucht der Welle hatte eines seiner Aquarien umgestürzt, das wiederum die zentrale Pumpe und das Filtersystem für alle anderen Aquarien von den Schläuchen abgerissen hatte. Dr. Dirk O’Connor war natürlich überglücklich gewesen einem verzweifelten Kollegen seine Hilfe anzubieten.
Butch McCall, ehemals Zoowärter und Muskelprotz beim Zirkus, bekam alles repariert und geregelt. Binnen einer halben Stunde hatte er das Pump- und Filtersystem wieder angeschlossen und den Großteil der schleimigen Aquariumsinsassen zurück in ihre Behausungen befördert. Nicht einmal die Arme und Saugnäpfe waren beschädigt worden.
Und nachdem das Unglück einmal abgewendet war, saß der Kalmarretter Dr. O’Connor mit dem dankbaren Kalmarforscher Dr. Lepod bei einer leicht fischig schmeckenden Tasse Tee zusammen und betrieb wissenschaftlichen Small Talk. Dabei stellte sich heraus, dass Dr. Lepod einer der führenden Kalmarforscher weltweit war – ein Spezialist vor allem für den Architeuthis. Und dass selbst dieser renommierte Experte keine Ahnung hatte, wie Wolfe es anstellen wollte, einen Riesenkalmar zu fangen und am Leben zu erhalten.
Butch konnte sein Glück kaum fassen. Trotz des bestialischen Gestanks saß er mehr als zwei Stunden in
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