Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
gerne in deine Kabine gehen und ’ne Runde schlafen. Wäre doch gelacht, wenn die Köche nicht mittlerweile auch alleine zurechtkämen.«
»Okay, klasse! Wir sehen uns morgen früh.«
Auf dem Weg nach oben war Marty versucht einen Zwischenstopp bei den Saurierbabys in Labor Nr. 9 einzulegen, aber sein Bedürfnis nach Frischluft war zu groß. Achtundvierzig Stunden nichts als Butter, Olivenöl, Knoblauch, Zwiebeln, Fisch, Teig und Fleisch, das reichte. Da brauchte er jetzt nicht noch Saurierkacke.
Grace, Luther, Wolfe und Laurel hatten ihn bei ihren Mahlzeiten in der Kantine über das Gedeihen der Saurierbabys unterrichtet. Diese waren inzwischen aus dem Brutkasten herausgewachsen und in ein Gehege auf dem Laborfußboden umgesiedelt worden. Sie konnten bereits laufen und hatten offenbar einen Narren an Luther gefressen, jedenfalls folgten sie ihm wie die Küken einer Henne. Grace, leicht eifersüchtig, behauptete steif und fest, die Zuneigung der Saurier zu Luther sei nur darauf zurückzuführen, dass sie in ihren ersten Lebensstunden von seinem Blut getrunken hatten.
Als Marty jetzt endlich an Deck stand, nahm er einen tiefen Zug frischer Seeluft. Die kam ihm nach dem fettigen Kantinenmief fast wie edles Parfüm vor. Der dunkle Himmel war mondlos, aber übersät von Millionen von Sternen. Die »Coelacanth« lag inzwischen vor Anker. Er schlenderte zur Reling und blickte ins Wasser hinunter. Irgendwo dort unten hausten gigantische Kalmare.
Morgen, wenn in der Küche alles glattläuft, lege ich mich an Deck und tanke etwas Sonne, dachte er. Ich kann ja mit der Libelle ein Auge auf …
In dem Moment traf ihn ein dumpfer Schlag im Rücken und er kippte über die Reling. Wie durch ein Wunder bekam einer seiner wild rudernden Arme das Speigatt zu fassen, wo er sich festklammerte. Es versetzte seiner Schulter einen schmerzhaften Ruck, doch er schaffte es, auch mit der anderen Hand nach dem Speigatt zu fassen – was seine missliche Lage allerdings kaum verbesserte. Sein erster Gedanke war, dass Bo ausgerissen war: Sie liebte es, sich anzuschleichen und Leute von hinten anzufallen. Aber für einen derartigen Schubs über das Geländer war sie doch nicht stark genug. Marty versuchte sich von außen an der Reling hochzuziehen, aber er hatte nicht genügend Kraft. Da begann er verzweifelt um Hilfe zu schreien. Die scharfe Kante des Speigatts schnitt ihm in die Finger und machte seine Hände taub. Von dem Schmerz in seiner ausgerenkten Schulter ganz zu schweigen. Wenn ihm nicht innerhalb der nächsten Sekunden jemand zu Hilfe kam, würde er auf Nimmerwiedersehen in den dunklen Fluten versinken.
Während er schrie, schaute er nach oben. Die unterste Querstange der Reling befand sich einen guten halben Meter über seinem Kopf – vollkommen unerreichbar, selbst mit einer nicht ausgerenkten Schulter. Es grenzte an ein Wunder, dass er seinen Sturz am Speigatt hatte abfangen können, aber das Wunder würde ihn nicht retten: Es würde seinen Tod nur ein wenig hinauszögern.
»Hil – fe!«
Mit der Fußspitze tastete Marty nach Halt, um seine schmerzenden Finger und Arme zu entlasten. Aber da war nichts, die Außenwand des alten Frachters war vollkommen glatt. Er wünschte, Wolfe hätte seine Kennmarke wieder aktiviert, als er ihn in die Küche abkommandiert hatte. Wäre sie aktiviert, könnte er sie jetzt abreißen und würde damit sofort Roy und Joe alarmieren. Der Gizmo steckte in seiner Tasche, aber er hatte Angst, ihn herauszuziehen. Mit nur einem Arm würde er sich niemals festhalten können. Kurz schoss ihm die Frage durch den Kopf, ob Ted wohl daran gedacht hatte, den Gizmo wasserfest zu machen. Wahrscheinlich schon. Ted dachte immer an alles. Sollte er also ins Meer fallen, überlegte Marty, könnte er versuchen einen Hilferuf über den Gizmo abzusetzen. Dazu müsste er allerdings schneller sein als die Haie.
»Hil – fe! Mann über Bord! Junge über Bord! Hil – fe!«
»Hier, greif das Tau!«, ertönte da plötzlich eine Stimme über ihm und schon wurde ein dickes Seil über die Reling geworfen, das direkt neben ihm gegen den Schiffsrumpf schlug.
Marty schnappte es sich. Tränen der Erleichterung liefen ihm über das Gesicht.
»Ich bin alleine!«, rief die Stimme über ihm. »Ich kann dich nicht hochziehen. Meinst du, du schaffst es aus eigener Kraft?«
»Glaub schon!«, rief Marty zurück. Im Vergleich zu dem scharfkantigen Speigatt fühlte sich das raue Tau fast an wie Samt. Marty ignorierte den Schmerz in
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