Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
Schulter und Fingern und kletterte wie ein Affe an dem Seil empor. Der verzweifelte Wunsch, endlich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, verlieh ihm fast übermenschliche Kräfte. Als er auf Höhe der Reling ankam, streckten sich ihm zwei Hände entgegen und zogen ihn an Deck.
Die Hände gehörten Theo Sonborn.
»Mannomann, ich dachte schon, es wäre um dich geschehen«, sagte Theo. »Du musst besser auf dich aufpassen, Junge!«
Martys dankbares Lächeln wich einem Stirnrunzeln.
»Ich bin mit Gewalt rübergestoßen worden.«
»Was? Wieso sollte dich denn jemand da rüberstoßen?«
»Das ist eine gute Frage, Theo. Aber die hier ist noch besser: Wo waren Sie, als ich da rübergestoßen wurde?«
»Moment mal! Du denkst doch wohl nicht, ich wäre das gewesen?«
Marty antwortete nicht.
»Wieso, bitte schön, sollte ich dich erst über Bord werfen und dann retten?«
»Vielleicht, weil ich nicht gleich ins Meer gefallen bin, sondern geschrien habe. Wenn ich Sie direkt vor meinem Sturz gesehen und ein anderer mich gerettet hätte, dann wäre die Sache auf Sie zurückgefallen. Ich weiß nämlich, dass Sie einer von Noah Blackwoods Spionen sind.«
»Ich habe dich nicht gestoßen! Ich habe dich gerettet! Und so ein Quatsch: Ich arbeite nicht für Noah Blackwood! Trotzdem würde ich immer noch gerne mehr über diese Saurier-Eier erfahren, von denen du mir neulich erzählt hast.«
»Moment mal! Nicht ich habe Ihnen von den Saurier-Eiern erzählt, sondern Sie mir ! Woraufhin ich erwidert habe, dass ich noch nie einen solchen Schwachsinn gehört habe. Es gibt keine Saurier-Eier an Bord.« Was inzwischen sogar der Wahrheit entspricht, dachte Marty.
Theo lächelte. »Ach komm, Marty. Ich arbeite nicht für Blackwood, das ist doch Blödsinn. Und ich hab dich nicht über die Reling befördert. Im Gegenteil: Ohne mich wärst du längst Haifutter. Das Mindeste, was du jetzt tun kannst, ist mir von diesen Eiern zu erzählen. Los, komm, ich bin einfach nur neugierig.«
»Ich hab eine Idee, Theo. Wie wär’s, wenn wir beide, Sie und ich, zu Wolfe gehen und Sie ihn persönlich nach diesen idiotischen Eiern fragen?«
»Okay.«
Das war nun wirklich die allerletzte Antwort, die Marty erwartet hätte. »Wie bitte? Sie wollen wirklich zu Wolfe gehen?«
»Ja, warum nicht?«
»Na schön.« Marty rieb sich seine schmerzende Schulter. »Dann mal los.«
Die Truhe
Grace und Laurel waren auf dem Weg zu Grace’ Kabine. Sie hatten ihre Fütterschicht gerade beendet und den Saurierjungen jeweils drei Pfund Fleisch eingetrichtert – ihre dritte Mahlzeit an diesem Tag. Jetzt würden die kleinen Kerle, bewacht von Luther, erst mal drei oder vier Stunden schlafen.
Als sie Grace’ Kabinentür öffneten, kam ihnen kreischend der Papagei entgegengeflattert und ließ sich auf Laurels Schulter nieder.
»Hey, du bist ja wieder fit«, rief Laurel erfreut.
»Das gibt’s ja nicht!«, staunte Grace. »Er ist seit seinem Flügelbruch gerade das erste Mal geflogen.«
Congo knabberte an Laurels Ohrläppchen.
»Hallo, das kitzelt.«
»Ich glaube, er fühlt sich vernachlässigt. Seit Eins und Zwei geschlüpft sind, bin ich kaum noch in meiner Kabine.«
»Na, hier wird wohl noch einiges andere vernachlässigt.« Laurel ließ ihren Blick über die Bücher und Papiere schweifen, die über die ganze Kabine verstreut herumlagen. »Was ist das alles?«
»Das alte Manuskript, das meiner Mutter gehörte. Wolfe hat es mir zum Geburtstag geschenkt.«
»Und du versuchst es zu übersetzen«, vermutete Laurel.
»Ja, aber ich bin noch nicht wirklich weit gekommen. Meine Mutter hat sich auch schon die Zähne daran ausgebissen.«
»Wie weit ist sie gekommen?«
»Keine Ahnung.«
Laurels Blick fiel auf die Truhe in der Kabinenecke und zum ersten Mal bereute Grace sie mit an Bord gebracht zu haben, denn sie wusste genau, was Laurel als Nächstes fragen würde.
»Hast du die schon mal geöffnet?«
»Hm, nee.«
»Fürchtest du dich davor?«
»Ja.« Die Antwort kam so leise, dass Grace nicht wusste, ob Laurel sie überhaupt gehört hatte.
»Das kann ich absolut verstehen.« Laurel nickte. »Ich glaube, mir würde es genauso gehen.«
»Aber trotzdem würdest du sie öffnen«, sagte Grace.
»Wahrscheinlich.«
»Seit du mir beigebracht hast auf dem Hochseil zu laufen und mich nur auf die unmittelbar nächsten Schritte zu konzentrieren, habe ich schon unglaublich viele Ängste überwunden. Aber in die Truhe zu schauen, das schaffe ich einfach
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