Jagdfieber
Nicht für eine Sekunde hatte sie in Erwägung gezogen, dass Victor Gefühle in ihr wachrufen könnte, die über das rein Körperliche hinausgingen und dass es ihm vielleicht ähnlich erging. Doch genau das war eingetreten.
Die Beziehung steckte ja noch in den Babyschuhen, aber jedes Lächeln von ihm, jeder Kuss und jede andere Aufmerksamkeit gaben ihr täglich Nahrung und ließen die Verbundenheit zu ihm wachsen. Sie war verliebt, verliebte sich jeden Tag ein bisschen mehr, und jetzt, wo er endlich Anzeichen zeigte, dass er ihre Gefühle erwiderte, bekam sie die Rechnung für ihre Gedankenlosigkeit präsentiert.
Paige fühlte sich immer unwohler, das Schweigen zog sich quälend in die Länge, doch die Worte, die ihr auf den Lippen lagen, blieben ihr im Hals stecken. Sie konnte nichts weiter tun, als ihn um Verzeihung bittend anzusehen und zu hoffen, dass er vielleicht doch so was wie Verständnis und Nachsicht zeigen würde.
„Wieso hast du mir ausgerechnet heute Abend davon erzählt? Warum nicht gestern oder an einem anderen Tag?“, fing er plötzlich an und ließ kritisch den Blick über ihr Gesicht wandern, als suche er darin nach weiteren Lügen und Geheimnissen. „Das muss doch einen Grund haben.“
Paige verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihm einen vorsichtigen Blick zu, als ihr einfiel, dass er ja noch nicht alles wusste. Wie würde er auf Jasons Anwesenheit reagieren?
„Ich habe ihn gesehen, im Restaurant.“
Seine Mundwinkel fielen steil ab, sie glaubte sogar, einen gehetzten Ausdruck in seinem Blick erkennen zu können.
„Verstehe“, äußerte er sich knapp, und ihr schwante bereits, welchen Weg seine Gedanken gerade einschlugen.
„Ich denke nicht, dass du verstehst.“
Ein dünnes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Oh doch, und wie ich das tue. Jetzt macht auch die spontane Nummer in der Limousine einen Sinn.“
Sie verstand kein Wort. „Was meinst du mit spontaner Nummer ?“, fragte sie aufgeregt. „Du tust gerade so, als würden wir den Sex sonst minutiös planen. Ich hatte Lust auf dich, das ist alles. Hör um Gottes Willen auf, mein Verhalten zu analysieren.“
Sein Blick blieb kühl. „Das liegt doch auf der Hand, warum ich da nachhake. Du siehst im Restaurant deinen Ex, und fällst dann im Wagen über mich her. Hat dich sein Anblick so scharfgemacht oder musstest du dir beweisen, dass du mich willst und nicht ihn?“
Paige erschrak, zögerte aber einen Moment zu lange, weil sie nach einer unverfänglichen Antwort suchte, um ihn nicht noch misstrauischer zu machen.
„Ich verstehe, du brauchst nicht mehr zu antworten“, meinte er steif. Enttäuschung flackerte in seinen Augen, als er sich zur Tür wandte.
„Victor, warte …“, rief sie ihm nach.
Er war schon dort, die Hand schwebte über der Klinke, doch er drehte sich nicht zu ihr um.
„So will ich das alles nicht, Paige“, sagte er ruhig.
Es war gerade diese unheimliche Ruhe, die er ausstrahlte, die ihr das Gefühl gab, als hätte sie mit ihrem Geständnis das Ende ihrer Beziehung eingeläutet. Hätte er lautstark rumgebrüllt oder sie mit Vorwürfen und Vorhaltungen überschüttet, wäre das wenigstens ein Zeichen dafür gewesen, dass ihm etwas an ihr lag. Aber diese betont leidenschaftslose Haltung war kaum zu ertragen. Victor machte mal wieder dicht, und zwar komplett.
Paige wollte sich nicht damit abfinden und rannte zu ihm, so schnell ihre Füße sie trugen. Obwohl sie mit einer Abfuhr rechnete, packte sie ihn am Arm und zwang ihn, sie anzusehen.
„Bitte, Victor, bleib doch hier. Das mit Jason ist vorbei, und es gibt auch keinen Grund zur Eifersucht.“
Er lachte bitter, sein Blick durchdrang sie mit der Schärfe einer Rasierklinge, die schmerzhafte Schnitte in ihr Selbstbewusstsein grub. Sein Mund verzog sich ablehnend.
„Offenbar sieht dein Lover das anders, oder wie erklärst du dir seine Reise hierher?“
Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie ihm ja noch nicht gesteckt hatte, in wessen Begleitung Jason durch das Restaurant marschiert war. Besonders erpicht darauf, ihn von Charlottes möglicher Rolle in diesem miesen Spiel zu berichten, war sie nicht. Sie hasste es, auch nur an diese Frau zu denken, geschweige denn, über sie zu reden. Doch in diesem Fall würde ihr nichts anderes übrig bleiben. Außerdem kotzte es sie an, dass er in den letzten Tagen eine neue Art von Respekt für Charlotte entwickelt hatte. Er schien sehr angetan davon, dass sie das Ende der jahrelangen Affäre so
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