Jagdfieber
legte ihm eine Hand an die Wange und zwang ihn sanft zurück in die Ursprungsposition. Sie sah ihm tief in die Augen.
„Bitte“, flüsterte sie sanft.
„Du bist wirklich hartnäckig.“
Sie grinste schwach und versuchte sich an einem Scherz. „Und ein Luder, vergiss das nicht.“
Das erwartete Lächeln kam nicht, er blieb ernst. Dann setzte er sich auf und nahm ihre Hände in die seinen, bog ihre Finger auseinander und streichelte sie. Victor schien einen schweren Kampf mit sich selbst auszutragen, bevor er ein resigniertes Seufzen ausstieß und ihr eindringlich in die Augen sah.
„Versprich mir, dass du nie jemandem erzählen wirst, was ich dir gleich anvertraue. Vor allem meinem Bruder nicht.“
Paige hatte zwar keine Ahnung, was sein Bruder Ryan damit zu schaffen hatte, aber sie nickte und hob in fast schon kindlicher Weise zwei Finger zum Schwur. „Ich schweige wie ein Grab. Versprochen.“
Er fing ihre Finger wieder ein und hielt sie, den Blick senkend, umfangen, noch während er anfing zu erzählen: „Der Grund, warum ich dir immer aus dem Weg gegangen bin, ist kompliziert. Du hast mich von der ersten Sekunde an meine Mutter erinnert.“
Seine Mutter! Ach du meine Güte …
Paige warf ihm einen reichlich schrägen Blick zu, was seinem scharfsinnigen Auge natürlich nicht entging.
„Es ist nicht so, wie du vielleicht denkst“, stellte er sofort klar. „Ich bin nicht Ödipus, und es ist auch nicht so, dass du ihr optisch ähneln würdest. Es ist deine Sorglosigkeit und deine lockere Lebenseinstellung, vor allem Männern gegenüber, die der meiner Mutter sehr gleicht. Aus diesem Grund habe ich dich ständig weggestoßen.“
Paige war immer noch überfordert. „Es tut mir leid, aber ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht, was das mit uns beiden zu tun hat.“
„Sagen wir mal so: Meine Mutter war nicht die zuverlässigste Person, und ich habe dich automatisch in die gleiche Schublade gesteckt, obwohl ich mich von der ersten Sekunde an zu dir hingezogen gefühlt habe. Ich habe schnell gemerkt, dass du mir gefährlich werden könntest und mich dagegen aufgelehnt.“
Sie schluckte. „Willst du damit vielleicht andeuten, du hattest Angst, dich in mich zu verlieben?“
Allein der Gedanke verursachte Wirbelstürme des Entzückens in ihr.
„So ungefähr“, gab er zu, schwächte dieses Eingeständnis aber sofort wieder ab. „Bitte versteh das nicht falsch. Ich bin nicht in dich verliebt. Ich hatte nur Angst, dass ich mit der Zeit mehr für dich empfinden könnte als gut für mich ist, sobald ich dich an mich heranlasse.“ Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich, wurde bitter. „Ich hatte keine Lust, wie mein Vater zu enden, und dachte, dich auf Abstand zu halten, wäre die einzig richtige Lösung.“
So langsam kapierte sie, was hier los war. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, er wollte nicht so werden wie sein Vater …
„Deine Mutter hat deinen Vater betrogen“, schlussfolgerte sie.
Victor stritt es nicht ab, sondern sah sie direkt an. „Es ist komisch, das laut aus dem Mund einer anderen Person zu hören, aber ja … sie hat ihn betrogen. Nicht nur einmal, sondern ständig. Am Ende wollte sie ihn sogar verlassen, und das konnte er nicht ertragen.“
Mitfühlend legte sie ihm die Hand über die Finger, die jetzt reglos zwischen ihnen ruhten. Sie fühlten sich kalt an.
„Es tut mir so leid“, sagte sie ehrlich und fühlte mit jeder Faser ihres Herzens mit ihm.
Auf einmal schien ein Damm in ihm gebrochen. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, als hätte er sie viel zu lange in sich verschlossen.
„Dass die Ehe meiner Eltern nicht besonders glücklich verlief, habe ich schon gemerkt, als ich noch ein kleiner Junge war. Jedes Mal wenn er sie auch nur flüchtig berührt hat, ist sie zu Eis erstarrt, und je älter ich wurde, umso schlimmer wurde es.“ Er sah kurz zu ihr, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. „Einmal hab ich sie aus dem Gartenhäuschen kommen sehen. Zerzaust, die Knopfleiste ihrer Bluse war nicht korrekt zugeknöpft und ihr Lippenstift war weg. Damals war ich zwölf. Alt genug, um zu wissen, dass sie sich mit dem Gärtner nicht nur unterhalten hat. Der Gärtner …“ Victor lachte hart auf. „Was für ein verdammtes Klischee.“
Er schwieg für einen Moment, ehe er weitersprach. Paige hörte aufmerksam zu, unterbrach ihn nicht und fühlte den Schmerz hinter jedem seiner Worte.
„Einige Jahre später, am Abend des Unfalls, hatten die beiden einen
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