Jagdhunde (German Edition)
der E 18 abbog und nach Larvik hineinfuhr.
Line entschied, nach Stavern zu fahren und zu Hause ein heißes Bad zu nehmen. In ihrer Wohnung in Oslo gab es nur eine Dusche und sie vermisste es, sich in eine Wanne mit wohlduftendem Badewasser sinken zu lassen.
»Er fährt Richtung Stavern«, meldete sich Tommy.
Line ärgerte sich darüber, dass sie entdeckt worden war und nun nicht länger zum Beschattungsteam gehörte, wenngleich sie plötzlich unsicher wurde, was die Verfolgung eigentlich bringen sollte. Sie musste sich eingestehen, wie unwahrscheinlich es war, dass Haglund nach Oslo fuhr und dort Zeitungsinterviews gab, wenn er tatsächlich Linnea Kaupang entführt hatte und irgendwo gefangen hielt. Und noch unwahrscheinlicher war es, dass er dann auf die andere Seite des Oslofjords fuhr, um dort einen Mann zu ermorden.
Line hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest.
Falls er sie nicht vorher bereits aus dem Weg geräumt hatte.
»Er kann nicht auf dem Heimweg sein«, sagte Morten P. »Er macht was anderes. Fährt ins Zentrum. Ich verzieh mich.«
Line drehte die Lautstärke auf, um den Klang der Reifen auf der nassen Fahrbahn zu übertönen.
»Folge ihm runter zur Tollbodgata«, gab Tommy durch, der sich in der kleinen Stadt gut auskannte. »Er fährt langsam am Hotel Wassilioff vorbei.«
»Nicht so nah dranbleiben!«, warnte Line.
»Er parkt. Ich fahre weiter.«
»Ich bleibe an der Statoil- Tankstelle«, erklärte Harald . »Kann ihn von hier aus sehen.«
Es wurde still. Line passierte die Abfahrt nach Sandefjord.
»Er steigt aus dem Wagen. Sieht aus, als ob er was bei sich hat. Kommt jetzt die Straße hoch.«
»Was hat er denn bei sich?«
»Weiß nicht. War vielleicht ’ne Brieftasche, die er in die Tasche gesteckt hat. Biegt an der Bank nach rechts ab.«
»Verftsgata«, erläuterte Tommy. »Ich kann ihn an der nächsten Querstraße übernehmen.«
»Ich verzieh mich«,sagte Harald. »Er geht langsam weiter.«
Line konzentrierte sich auf den Sprechverkehr und drosselte die Geschwindigkeit. Ein Kombi überholte sie, blinkte und scherte vor ihr wieder ein. Die roten und orangefarbenen Lichter am Heck verschmolzen wie Aquarellfarben mit dem schwarzen Asphalt.
»Wer hat ihn?«, fragte Line, als es eine Weile still blieb.
Niemand antwortete.
»Tommy?«
»Negativ. Ich steh an der Apotheke.«
»Harald?«
»Bin ihm in die Verftsgata gefolgt, seh ihn aber nicht.«
»Morten?«
»Hab gerade meinen Wagen an der Kirche abgestellt. Haben wir ihn verloren?«
»Moment mal«, ließ sich Harald vernehmen.
Sie hörten, wie sich die Geräusche veränderten. Der pfeifende Wind im Hintergrund war verschwunden. Es klang nach gedämpfter Musik.
Harald räusperte sich. »Ich hab ihn«, sagte er . »Er ist in ein Café gegangen. Zum Goldenen Frieden. Hat sich ganz hinten an einen Tisch gesetzt.«
68
Line fuhr von der Autobahn ab und sah vor ihrem geistigen Auge, wie Rudolf Haglund auf dem Stammplatz ihres Vaters saß, ganz hinten im Café Zum Goldenen Frieden.
Sie unterbrach die Verbindung und nahm das Telefon in die Hand, um Wisting anzurufen, doch im selben Moment klingelte es. Die Nummer verwies auf einen Anruf aus dem Ausland. Ländercode sechsundvierzig. Schweden.
»Ja, hier ist Line?«, sprach sie fragend in den Hörer.
Eine Frau räusperte sich. »Ihr Name ist Line Wisting, richtig?«
Die Stimme klang matt und zögerlich. Line erkannte sie sofort wieder. Maud Svedberg. Jonas Ravnebergs ehemalige Freundin.
»Ja, stimmt«, erwiderte Line.
»Wir haben vorhin schon mal gesprochen«, erklärte die Frau. »Ich habe mir Ihre Nummer notiert.«
»Das ist richtig.«
Die Frau zögerte wieder und fragte dann vorsichtig: »Sind Sie mit William Wisting verwandt? Dem Polizisten?«
»Das ist mein Vater«, sagte Line. »Wieso fragen Sie?«
»Nein, also … das ist wirklich merkwürdig.«
»Was denn?«
»Jonas hat mir ein Päckchen geschickt.«
»Ein Päckchen?«
»Einen großen grauen Umschlag. Der kam mit der Post und muss wohl schon im Kasten gelegen haben, als wir miteinander sprachen.«
»Und was ist da drin?«
»Das ist ja das Seltsame. In dem Umschlag liegt ein weiteres Päckchen. Es ist an Ihren Vater adressiert und Jonas schreibt, dass ich es ihm geben soll, falls ihm etwas zustoßen sollte. Und das ist ja jetzt geschehen.«
Line spürte, dass ihre Hände feucht wurden. »Hat er sonst noch was geschrieben?«
»Nicht viel. Sieht so aus, als hätte er es in aller Eile geschrieben. Er sagt, dass
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