Jagdhunde (German Edition)
Verstoßung und Fanatismus. Morde aus Eifersucht oder Rache sind immer am einfachsten aufzuklären, zusammen mit Morden zwecks persönlicher Bereicherung. Nervenkitzel kommt als Motiv eher selten vor. Meist sind das dann Serienmörder, aber davon gibt es zum Glück nicht so viele hier im Land.«
»War es die Begierde, die Cecilia Linde tötete?«
»Das nehme ich an, wenngleich es keine Hinweise gab, dass sie sexuell missbraucht wurde.«
»Was meinst du mit Verstoßung? Worum geht es da?«
»So etwas geschieht meist nur in extremen Milieus. Entweder in radikalen religiösen oder politischen Gruppen oder im Milieu der Motorradrocker.«
»Und Fanatismus?«
»Das ist das, was wir als Ehrenmord bezeichnen. Wenn Ehr- oder Schamgefühle das Motiv sind.«
Line legte die Hände um die Schultern und schien zu überlegen, welches Motiv im Zusammenhang mit der Ermordung Jonas Ravnebergs wohl am besten passte.
Für Wisting war es immer interessant gewesen, dass er sich in vielen der Gefühle, die einen Mord auslösten, wiedererkennen konnte. Sowohl Eifersucht als auch Rache oder Begierde. Aber glücklicherweise kamen auch noch weitere Faktoren zum Tragen, wenn ein Mensch dazu getrieben wurde, einem anderen zu schaden. Die meisten Mörder, die er getroffen hatte, waren ziemlich abgestumpft und selbstzentriert und hatten oft nicht die Fähigkeit zur Empathie besessen. Menschen wie Rudolf Haglund.
»Das waren jetzt aber nur sieben«, sagte Line. »Was ist das achte Motiv?«
»Das ist vielleicht am schwierigsten zu durchschauen«, gab Wisting zurück. »Wenn ein Mord begangen wird, um ein anderes Verbrechen zu vertuschen.«
Line wurde nachdenklich. Nichts von dem, was er ihr erzählt hatte, war eigentlich neu für sie, und doch bemerkte Wisting, dass er bei seiner Tochter einen Denkprozess angestoßen hatte.
Nach einer Weile schien sie sich selbst aus ihren Gedanken zu reißen. »Wie lief’s eigentlich heute? Was wollte Haglund dir erzählen?«
Wisting zögerte etwas, bevor er ihr von Haglunds Version der damaligen Ereignisse erzählte, unterließ es aber, ihr zu berichten, dass er bereits einen Namen gefunden hatte. Stattdessen gab er die Fragen wieder, die ihm von der Spezialeinheit gestellt worden waren, und erzählte, dass er die Vernehmung abgebrochen hatte.
»War das so schlau?«, fragte Line.
»Sicher nicht«, räumte er ein und ging zum Kühlschrank hinüber. Er war fast leer, doch immerhin gab es noch Butter, Käse und ein Glas Marmelade. Auch ein Paket Knäckebrot fiel ihm in die Hände. »Was willst du denn überhaupt in Schweden?«, fragte er und stellte die Sachen auf den Tisch.
»Ich werde etwas für dich erledigen«, erwiderte Line und sah auf die Uhr.
»Und was?«
»Ich werde ein Päckchen für dich abholen.«
Wisting strich Butter auf eine Scheibe Knäckebrot, blickte seine Tochter mit hochgezogenen Augenbrauen an und wartete auf die Fortsetzung.
»Ich habe mit der ehemaligen Freundin von Jonas Ravneberg gesprochen«, erklärte Line. »Sie wohnt in Ystad. Er hat ihr ein Päckchen und einen Brief geschickt, in dem steht, dass der Inhalt des Päckchens an dich überstellt werden soll, falls ihm etwas zustoßen sollte.«
Wisting legte das Buttermesser beiseite. Er war überaus verwundert. Niemals hatte er irgendetwas mit Jonas Ravneberg zu tun gehabt. Sie waren einander nie begegnet. Die einzige Verbindungslinie war Rudolf Haglund.
»An mich?«, fragte er.
Line nickte. Wisting sah sie erstaunt an und war beeindruckt von dem, was sie zustande gebracht hatte. Schließlich wurde ihm wieder seine Rolle als Ermittler bewusst.
»Wir sollten die Polizei in Fredrikstad informieren«, meinte er.
»Wieso?«
»Ein Päckchen mit unbekanntem Inhalt, das mir übergeben werden soll, wenn ihm etwas zustößt?«, sagte er. »Das muss doch Relevanz für die Mordsache haben. Man könnte die schwedische Polizei bitten, das Päckchen zu holen und den Inhalt zu überprüfen.«
»Und du glaubst, das geht schneller, als wenn ich hinfahre und es abhole?«
Wisting hatte Erfahrung mit der Bürokratie bei Amtshilfeersuchen quer über Landesgrenzen hinweg und musste zugeben, dass Line recht hatte.
»Ich fahre heute Abend da hin«, entschied Line. »Meinetwegen kann ich dann auf dem Rückweg in Fredrikstad haltmachen und den Inhalt abliefern.«
Wisting kaute auf seinem Knäckebrot herum und gab mit einem knappen Nicken seine Zustimmung.
»Oder willst du mitkommen?«, fragte Line. »Da steht ja dein Name auf dem
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