Jagdhunde (German Edition)
worden.
Wisting nahm einen anderen Ordner heraus. Dieser bezog sich auf einen noch kürzer zurückliegenden Zeitraum. Er erkannte einige Namen wieder. Zahllose Menschen waren verhaftet worden und hatten ihre Strafe schon längst erhalten. Verschiedenste Polizeibeamte hatten die Formulare unterschrieben.
»Sie können den Karton gerne mitnehmen«, schlug Bjørg Karin vor. Sie stand auf und kam zu ihm.
Wisting legte den Ordner zurück. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Ordner sofort durchzusehen und den richtigen zu finden, aber er wollte dabei allein sein.
»Werde ich machen«, sagte er mit einem Nicken und zog den Karton zu sich heran.
»Ich hoffe, dass Sie finden, wonach Sie suchen«, meinte Bjørg Karin. »Und dass Sie bald wieder zu uns zurückkommen. Ohne Sie ist es eben nicht dasselbe.«
Wisting bedankte sich bei ihr und nahm den Karton mit. Die oben liegenden Ordner wurden nass, bevor er den Karton auf den Rücksitz des Wagens stellen konnte. Dann stieg er in sein Auto, wendete und winkte Bjørg Karin zu, die in der Tür stehen geblieben war.
Nach zweihundert Metern fuhr er an den Straßenrand und hielt an. Er beugte sich über den Sitz und kramte so lange in dem Karton herum, bis er den Ordner mit der passenden Jahreszahl fand.
Seine Fingerspitzen fühlten sich kalt an. Er ballte die Hand zur Faust und blätterte drauflos.
In der Mitte des Ordners stieß er auf den Namen Rudolf Haglund. Er hatte drei Tage im Arrest verbracht und es gab mehrere zusammengeheftete und unterschriebene Formulare.
Haglund war am Samstagvormittag, dem 29. Juli, in der Arrestzelle einquartiert worden, genau zwei Wochen nach Cecilia Lindes Verschwinden. Jede halbe Stunde hatte der Aufsichtsbeamte mit seiner Unterschrift vermerkt, dass er Haglund in Augenschein genommen hatte. An einigen Stellen war neben der Unterschrift auch der Vermerk Zigarettenpause eingetragen worden. Um 14:38 Uhr hatte Frank Robbek ärztl. Untersuchung hinzugefügt. Und um kurz vor vier war Haglund in die Zelle zurückgebracht worden.
Unten auf der ersten Seite stand Besprechung/Rechtsanwalt. Eine Stunde danach hatte er etwas zu essen bekommen und am selben Abend hatte einer der Aufsichtsbeamten Vernehmung/W. Wisting vermerkt. Drei Stunden später war Haglund wieder in seiner Zelle. So ging es die nächsten zwei Tage weiter. Es gab routinemäßige Eintragungen der Aufseher sowie Vermerke über Besprechungen mit dem Anwalt, über die Essensausgabe und über die Vernehmungen. Es gab nur wenige Beamte, die sich bei der Aufsicht abwechselten, und die gleichen Unterschriften wiederholten sich.
Auf dem Formular des letzten Tages tauchte der Name auf. Der Papierbogen begann, in Wistings Händen zu zittern.
Um 01:37 Uhr in der Nacht zu Dienstag, dem 1. August, hatte Rudolf Haglund Besuch in der Zelle bekommen. Zigarettenpause stand mit großen, leicht eckigen Buchstaben vor einer schräg gestellten Unterschrift geschrieben, die Wisting nur allzu gut kannte.
Er starrte auf den Namen. Er hätte ihn nicht erwartet, aber jetzt fügte sich alles zusammen.
66
Rudolf Haglund stieg den Abhang hinunter und verschwand ein Stückchen weiter unten im Gebüsch. Ein kalter Windstoß fuhr durch die Baumkronen über Line. Der Regen prasselte auf ihren Kopf, tropfte von ihren Haaren in den Nacken und drang bis unter die Kleidung vor.
»Was ist los?«, wollte Tommy wissen.
Line besann sich. »Er hat mich entdeckt«, sagte sie und hielt sich das Mikrofon des Headsets direkt vor den Mund. »Er hat mich wiedererkannt und wusste, dass ich ihm von Oslo aus gefolgt bin.«
»Aber wie …«, setzte Harald an.
»Hat er nur dich oder uns alle entdeckt?«, unterbrach ihn Morten P.
Unten am See knallte eine Tür zu und ein Motor wurde angelassen.
»Ich glaube, nur mich«, erwiderte Line.
Sie hörte Haglund zurücksetzen und wenden. Der Kies auf dem Weg knirschte unter den Reifen und das Licht der Scheinwerfer erhellte den Weg.
»Er fährt zurück«, gab Line durch.
Morten Ps Stimme war deutlich zu hören: »Dann machen wir es folgendermaßen«, sagte er. »Wir warten auf ihn und folgen ihm dann weiter. Du untersuchst die Stelle, an der er war, und fährst dann nach Hause.«
Line wollte protestieren, aber Morten P war bereits dabei, die anderen so zu dirigieren, dass sie die Verfolgung fortsetzen konnten.
Lines Kleidung war völlig durchnässt. Sie setzte sich in den Wagen und warf einen Blick in den Spiegel. Ihr nasses Haar klebte am Kopf und ihr Gesicht
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